Für unsere freie, sichere und unabhängige Schweiz: Nationalrat Hans Fehr | SVP Zürich | Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission | Postadresse: Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau



Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Meine Beiträge im Jahr 2014

Von Nationalrat Hans Fehr, SVP/ZH, Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Eglisau

Augenschein in Helsinki, Karelien und Sankt Petersburg

12. August 2014

Helsinki. "Hyvä huomenta Suomi" - guten Morgen Finnland! Das schwierigste für den Nicht-Finnen ist wohl die finnische Sprache; sie gehört mit Ungarisch zu den ugrisch-magyarischen Sprachen, kennt zwar keine Artikel, wohl aber 14 Fälle mit Endungen, die je nach Bedeutung an die Hauptwörter angehängt werden. So bedeutet "talos" das Haus. "Zum Haus hin" heisst "talostin", "vom Haus her" heisst "talosta", und "talolle" bedeutet "ums Haus herum". Wer unbedingt Finnisch lernen will, heiratet am besten eine Finnin oder einen Finnen, wie es mein ehemaliger, leider bereits verstorbener Aarauer Schulkommandant Werner Frey gemacht hat. Als er seinerzeit als junger Berufsoffizier zur Ausbildung bei der finnischen Armee weilte, habe ihm die finnische Hostess auf dem Flug nach Helsinki so gut gefallen, dass er sie "geradewegs" geheiratet habe. Weil Finnland aber nur etwa 5 Millionen Einwohner zählt, ist das "Reservoir" für die 8 Millionen Schweizer oder die rund 600 Millionen Europäer relativ klein - und die Schweizerinnen und Schweizer sind ja auch "nicht ohne".

Auch unsere kleine Reisegruppe ist von der Hauptstadt Helsinki mit ihren 600'000 Einwohnern begeistert. Die Finnen und die Touristen freuen sich über das schöne Sommerwetter, und die Prachtstrasse "Esplanade" kann es jederzeit mit der Zürcher Bahnhofstrasse aufnehmen. Eine Schifffahrt durch die Schärenlandschaft vor der Küste zeigt uns die prachtvolle Kulisse mit dem Dom, dem Reichstagsgebäude, der Uspenski-Kathedrale und vielen andern Sehenswürdigkeiten besonders eindrücklich.

Wir sind aber vor allem darauf erpicht, vom wohl bedeutendsten finnischen Militärhistoriker noch mehr über die wechselvolle Geschichte Finnlands zu erfahren - insbesondere über den Winterkrieg 1939/40 und den Fortsetzungskrieg 1941-44 gegen die damalige Sowjetunion - und die wichtigsten Schauplätze vor Ort zu besichtigen. Das Mannerheim-Museum zeigt das Wirken dieses grossen Marschalls und Staatsmannes (Carl Gustav Emil Mannerheim, 1867-1951) sehr eindrücklich. Als Oberkommandierender bei den genannten Kriegen und späterer Staatspräsident ist er die wohl wichtigste Persönlichkeit des modernen Finnland. Die wichtigsten Kämpfe fanden im Süden, nördlich und südlich des Ladoga-Sees, auf der Karelischen Landenge, statt. Eine bedeutende Rolle spielte dabei auch General Lennart Oesch, dessen Vorfahren aus dem Kanton Bern zugewandert waren. Oesch war zunächst Mannerheims Generalstabschef, danach hatte er zeitweise den Oberbefehl über die Truppen auf der Karelischen Landenge.

Nach einem 105-tägigen heldenhaften Kampf, bei dem es den Finnen mehrfach gelang, mit der genialen Taktik der "Motti" (Einkesselung) ganze russische Bataillone, Regimenter und noch grössere Verbände (zum Beispiel bei Lemetti) einzukesseln, musste Finnland schliesslich gegen die bis zu 10 mal grössere russische Übermacht einen Friedensvertrag unterzeichnen. Es musste dabei einen Achtel seines Staatsgebietes im Osten (Karelien) an die Sowjetunion abtreten. Die einzige Chance, diese Gebiete wieder zurück zu erobern, sahen die Finnen in der "Waffenbrüderschaft" mit Hitler-Deutschland, nachdem die Wehrmacht am 22. Juni 1941 die Sowjetunion mit 3 Heeresgruppen (Nord, Mitte, Süd, mit insgesamt 253 Divisionen) überfallen hatte. Die rund 200'000 deutschen Soldaten unter dem Kommando des Gebirgsgenerals Eduard Dietl wurden vor allem im Norden eingesetzt; im Süden Kareliens kämpften fast ausschliesslich die finnischen Streitkräfte - unterstützt von lediglich einer deutschen Division. Die anfänglichen Erfolge an der Karelien-Front wurden aber mit dem deutschen Zusammenbruch wieder zunichte gemacht und Finnland musste Teile Kareliens definitiv abtreten und gewaltige Reparationsleistungen an die Russen erbringen. Seine Unabhängigkeit konnte es aber, dank dem heldenhaften Widerstand und gewaltigen Opfern, bewahren. Die rund 300'000 im russisch besetzten Teil Kareliens ansässigen Finnen haben allesamt ihre ursprüngliche Heimat verlassen und wurden von ihren Landsleuten im finnischen "Kernland" mit grösster Solidarität aufgenommen. Es ist verständlich, dass die Finnen ihren grossen Nachbarn im Osten bis auf den heutigen Tag argwöhnisch beobachten und dafür sorgen, dass ihre Armee auf einem guten Stand ist. Auch die finnischen Sozialdemokraten stehen hinter der Armee. Unsere Linke sollte sich hier ein Beispiel nehmen.

Russisch Karelien. Die Fahrt durch den ehemals finnischen und heute russischen Teil Kareliens, wo wir die wichtigsten Kriegsschauplätze besuchen, zeigt in weiten Teilen ein Land, das den Eindruck macht, als sei die Zeit während 70 Jahren stillgestanden. In kleineren Ortschaften stehen immer noch Holzhäuser aus der finnischen Zeit, zum Teil windschief und verfallen. In den grösseren Orten (wie zum Beispiel in der Stadt Sortavala) gibt es neben den alten finnischen Holzhäusern die typischen Plattenbauten aus der sowjetischen Zeit. Nur punktuell sieht man da und dort reparierte oder neue Häuser. Unser Reiseführer meint, der von den Sowjets annektierte Teil Kareliens habe für die Russen vor allem eine Bedeutung als Sicherheits- und Pufferzone. Die jungen Leute hätten kaum eine wirtschaftliche Perspektive und versuchten, in die Städte abzuwandern. Niemand habe ein grosses Interesse, in der "Provinz" zu investieren. Die Städte - wie das relativ nahe St. Petersburg - platzen dafür aus allen Nähten, was wiederum neue Probleme schaffe. Immerhin wird jetzt das schlechte Strassennetz Kareliens zum Teil verbessert, und da und dort wird eine gewisse Eigeninitiative sichtbar. Die vielen Heidelbeeren, die an den Strassen russisch Kareliens überall angeboten werden, bringen noch keinen wirtschaftlichen Aufschwung, aber immerhin ein paar Rubel.

Sankt Petersburg. Je näher wir St. Petersburg (ehemals Leningrad) kommen, desto besser und breiter werden die Strassen, und desto dichter wird der Verkehr. Die mit 5 Millionen Einwohnern zweitgrösste Stadt Russlands "boomt". Auch die 160 km lange Ringautobahn kann nicht verhindern, dass sich immer wieder lange Staus bilden. Die riesigen Vorstadtgebiete scheinen endlos und wirken wenig attraktiv. Erst gegen das Stadtzentrum, beim Anblick der imposanten "Newa" und ihrer Nebenkanäle und der prächtigen Bauwerke (Winterpalais, Kathedralen, Museen, Eremitage) begreift man die Begeisterung der Touristen - und natürlich der St. Petersburger - für die Stadt, die das Paris des Nordens genannt wird und 1703 auf Geheiss von Zar Peter dem Grossen gegründet wurde.

Die schlimmste Zeit in der Geschichte Sankt Petersburgs war die 871-tägige Belagerung des damaligen Leningrad durch die deutsche Wehrmacht vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944. Hitler hatte befohlen, dass die von ihm abgrundtief gehasste Stadt mit dem Namen Lenins "vom Erdboden verschwinden" müsse. Leningrad sollte deshalb nicht erobert, sondern mit einer Blockade von jeglicher Zufuhr abgeschnitten und ausgehungert werden. Die damals 3 Millionen Bewohner mussten vor allem im Winter 1941/42 Unsägliches durchmachen. Die einzige "Strasse der Hoffnung", über welche zeitweise ein gewisser Nachschub möglich war, führte über den Ladogasee. Insgesamt starben während der Blockade rund 1 Million Leute, 1 weitere Million konnte im Lauf der Zeit evakuiert werden, und eine Million verblieb unter katastrophalen Bedingungen in der Stadt. Der Belagerungsring bestand aus 42 deutschen Divisionen (also aus etwa einer halben Million Soldaten) unter dem Oberkommando von Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb. Die russischen Truppen, die anfänglich erfolglos versuchten, die Blockade aufzubrechen, waren zum Teil schlecht ausgebildet und schlecht geführt, denn Stalin hat bekanntlich vor allem 1937 bei der "grossen Säuberung" viele hohe, erfahrene Heerführer liquidieren lassen. Als die Bevölkerung in höchster Not herangezogen wurde, um Panzergräben zur Verteidigung auszuheben, lobte ein General eine alte Frau mit den Worten: "Ihr grabt gut, Mütterchen." Und sie erwiderte darauf: "Ja, wir graben gut, aber ihr kämpft schlecht!"

Es ist darum verständlich, dass Leningrad von der Sowjetführung - ähnlich wie Stalingrad - zum heroischen Symbol des Widerstandes und des erfolgreichen Kampfes gegen die Faschisten erklärt wurde. Mit dem Museum, das eindrücklich auch mit Dokumentarfilmen, an die schreckliche Zeit und an den Widerstand erinnert, mit den Mahnmalen und den riesigen Friedhöfen scheint die Nachwelt den zahllosen Opfern zuzurufen: "Wir werden Euch nie vergessen!"

Aber das Leben muss weitergehen, und es geht weiter. Am Stadtrand schiessen gewaltige Wohn- und Industriebauten in die Höhe. In langen Schlangen warten die Touristen aus aller Welt, auffällig viele aus Asien, um die prächtigen Bauten und die Besonderheiten St. Petersburgs zu besichtigen und den Charme der Stadt zu erleben. An den Ufern der Newa und an den Kanälen feiern vor allem jüngere Leute die halben Sommernächte durch, freuen sich des Lebens und sind stolz auf ihre Stadt. Gleichzeitig findet eine grosse Harley Davidson-Veranstaltung statt mit Konzerten, Darbietungen und einem "Corso" durch das Zentrum St. Petersburgs mit mindestens 1000 Motorrädern, die ihre Motoren dröhnen lassen.

Die Gegenwart, die Alltagsprobleme und auch die Alltagsfreuden dominieren. Sankt Petersburg, Helsinki und Karelien sind in jeder Beziehung einen vertieften Augenschein und eine Reise wert.