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Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Der Bundesrat, Rudenz und die Lorelei

Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission

Meine Beiträge im Jahr 2016

BaZ vom 1.7.2016

Brexit hin oder her: Eine Mehrheit des Bundesrates, angeführt von Aussenminister Didier Burkhalter, will in die EU. Nicht direkt und offen, denn das wäre aussichtlos, weil auch nach der neuesten Umfrage der ETH nur noch eine bescheidene Minderheit der Schweizerinnen und Schweizer dieses Ziel mehr oder weniger unterstützt. Man will den Beitritt "schleichend" erreichen über einen sogenannten Rahmenvertrag, der uns institutionell in die EU-Strukturen einbindet.

Was treibt Bundesräte, Politiker, hohe Bundesbeamte, Kulturschaffende und gleichgesinnte Kreise in diese Richtung an? Sie bewundern das Grossräumige, sie möchten dabei sein bei supranationalen Gebilden, auf internationalen Konferenzen, wo Taten geschehen, wo "Geschichte geschrieben" wird. Einige lechzen nach hohen Ämtern und allerlei Privilegien. Und vor allem: Sie empfinden die direkte Demokratie, die Volksrechte und die Tatsache, dass das Schweizer Volk in allen wesentlichen Belangen das letzte Wort hat - und ebenso die schweizerische Neutralität, die sich klug zurückhält statt überall "dabei zu sein" und Partei zu nehmen - als mühsam, als hinderlich, als Korsett.

Schiller ist hochaktuell

Burkhalter und Co erinnern mich an Rudenz in Schillers Wilhelm Tell. Rudenz ist darauf versessen, am Glanz des Habsburgischen Hofes teilzuhaben, und er wirft seinem alten Onkel, dem Freiherrn von Attinghausen, an den Kopf: "Habt Ihr nicht höhern Stolz, als hier Landamman oder Bannerherr zu sein und neben diesen Hirten zu regieren? Wie? Ist's nicht eine rühmlichere Wahl, zu huldigen dem königlichen Herrn, sich an sein glänzend Lager anzuschliessen? (…) Anderswo geschehen Taten, eine Welt des Ruhms bewegt sich glänzend jenseits dieser Berge. Mir rosten in der Halle Helm und Schild. (….) Wollen wir allein uns eigensinnig steifen und verstocken, die Länderkette ihm (dem König) zu unterbrechen, die er gewaltig rings um uns gezogen?" Der geniale Friederich Schiller (1759-1805) hat die menschlichen Stärken und Schwächen zurück- und vorausblickend messerscharf erkannt.

Der Bundesrat gehorcht

Zurück zur Gegenwart: Brüssel, obwohl alles andere als eine "Welt des Ruhms", gibt den Takt vor und der Bundesrat gehorcht. Statt endlich den Volksentscheid gegen die Massenzuwanderung umzusetzen, will die Mehrheit des Bundesrates auf Druck der EU offensichtlich zuerst den erwähnten Rahmenvertrag mit Brüssel vorantreiben. Dieser Rahmenvertrag, als Vorvertrag zwischen Diplomaten bereits ausgehandelt, beinhaltet im Wesentlichen dreierlei: Wir haben alles bisherige und künftige EU-Recht in den bilateral geregelten Bereichen automatisch zu übernehmen. Zudem muss die Schweiz bei Meinungsverschiedenheiten das Urteil des EU-Gerichtshofes anerkennen. Und wenn wir dies nicht tun, haben wir Sanktionen, also Strafmassnahmen, in Kauf zu nehmen.

Würde dieser Rahmenvertrag gutgeheissen, über den wir möglicherweise schon im ersten Halbjahr 2017 abzustimmen haben, so wäre (weil dann eben Brüsseler Recht, also auch die volle Personenfreizügigkeit gelten würde) gleichzeitig die Verfassungsbestimmung gegen die Masseneinwanderung ausser Kraft gesetzt. Oder Brüssel könnte die Umsetzung zumindest diktieren. .

Täuschungsmanöver

Besonders perfid und verwerflich ist dabei, dass der Bundesrat das Schweizer Volk täuschen will: Statt von der automatischen Übernahme von EU-Recht spricht man von der "Erneuerung des bilateralen Weges", man macht glauben, der EU-Gerichtshof gebe lediglich "Empfehlungen" ab, und die Sanktionen werden als "Ausgleichsmassnahmen" verharmlost.

Das üble Täuschungsmanöver erinnert an Heinrich Heines (1797-1856) "Lorelei". Diese "schönste Jungfrau" sass bekanntlich auf einem Felsen hoch über dem Rhein. Gebannt von ihrer Schönheit und dem verführerischen Gesang achteten die Schiffer nicht auf die Felsenriffe und wurden schliesslich von den Wellen verschlungen.

Der Text der "Lorelei" ist weltbekannt:

Ich weiss nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin;
ein Märchen aus alten Zeiten, das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kühl und es dunkelt, und ruhig fliesst der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt im Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau sitzet dort oben wunderbar,
ihr goldnes Geschmeide blitzet, sie kämmt ihr goldenes Haar.

Sie kämmt es mit goldenem Kamme und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame, gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe, er schaut nur hinauf in die Höh.

Ich glaube, die Wellen verschlingen am Ende Schiffer und Kahn;
und das hat mit ihrem Singen die Lorelei getan.


Auch wenn die Bundesrätinnen und Bundesräte möglicherweise nicht die gleiche verführerische Kraft und Schönheit wie die Lorelei ausstrahlen und ihr Gesang nicht derart gewaltig tönt, kann es zu gegebener Zeit nur eine Antwort geben: Nein zur institutionellen Einbindung, nein zum Rahmenvertrag, Nein zur "Erneuerung des bilateralen Weges" oder wie das Konstrukt auch immer heissen mag.