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Personenfreizügigkeit wohin?
(Die Problematik aus wirtschaftlicher Sicht)

Artikel, 30. August 2010


Die Mehrheit des Bundesrates und des Parlaments sowie die Wirtschaftsverbände haben die Stimmbürger angeschwindelt, als sie im Vorfeld der Personenfreizügigkeits-Abstimmungen behaupteten, die Zuwanderung reguliere sich in einer Krise von selbst. In Tat und Wahrheit haben wir es mit einer Massenzuwanderung zu tun und zahlen dafür einen zu hohen Preis. Statt zu wachsen, bläht sich die Schweizer Wirtschaft mit billigen Arbeitskräften auf, und die Produktivität pro Kopf lässt nach. Zudem treibt die Überlastung unserer Sozialkassen mittelfristig die Steuern und Abgaben nach oben, was die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft verschlechtert. Die Schweiz muss ihre Handlungsfähigkeit in der Zuwanderungspolitik wieder herstellen.

Die gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung von Managern und Politikern, wonach die Personenfreizügigkeit mit der EU eine „Erfolgsgeschichte“ sei (NZZ, 17.6.2008), dass sie „unseren Wohlstand mehrt“ (NZZ am Sonntag, 1.6.2010) und dass beispielsweise das „unternehmerische Wunder von Peter Spuhler“ ohne Personenfreizügigkeit „undenkbar“ wäre (TA, 1.7.2008), wird durch die Tatsachen widerlegt.
Natürlich sehen kurzsichtige Manager im freien Personenverkehr Vorteile. Erstens können sie ihre Arbeitskräfte seit Mitte 2007 aus einem praktisch unbegrenzten Reservoir von rund 450 Millionen EU-Bürgern auswählen (ab Mitte 2011 kommen noch die EU-Oststaaten dazu). Und zweitens bringt die Personenfreizügigkeit Lohndruck und damit tiefere Löhne.

Die Kehrseite der Medaille
Allerdings wiegt die Kehrseite der Medaille für unser Land und unsere Volkswirtschaft schwer: Im Verbund mit den offenen Schengener Grenzen und dem Laisser-faire in der Asylpolitik hat die Personenfreizügigkeit vorab seit der starken Rezession, die ab Herbst 2008 auch unser Land getroffen hat, zu einer unkontrollierten Zuwanderung mit gravierenden Folgen geführt.

  • Schon die Personenfreizügigkeit mit der „alten EU“ (EU-15) hat seit Mitte 2007 einen enormen Zuwanderungsschub ausgelöst. So hat sich die Zunahme des Ausländerbestands von 2007 (plus 65'322) auf 2008 (plus 120'499) fast verdoppelt. Sogar im Rezessionsjahr 2009 hat die Zahl der „Immigranten“ um 91'152, gegenüber 2007 um fast 50%, zugenommen. Insgesamt wandern jedes Jahr zwischen 80’000-100'000 Ausländer mehr in unser Land ein als wieder ausreisen. Das ist die Grössenordnung der Stadt Winterthur.

    Neben fatalen Folgen für unsere Sicherheit und die Sozialwerke (s. unten) führt die Massenzuwanderung zu einer Überbevölkerung unseres kleinen Landes, zu Friktionen mit Bevölkerungsgruppen, die sich nicht an unsere Rechtsordnung halten wollen, zu Problemen an unseren Schulen, zu erhöhten Wohnungsmieten, zu einem wachsenden Verkehrskollaps auf Strasse und Schiene, zu riesigen Infrastrukturkosten und zur Zerstörung unserer Naturräume.
  • Die ab Mitte 2011 auf die EU-Oststaaten (EU-25) und etwas später auch auf Rumänien und Bulgarien (EU-27) erweiterte Personenfreizügigkeit wird einen zusätzlichen Zuwanderungs-Schub auslösen, weil dort der Lebensstandard (Löhne, Sozialleistungen, Lebensqualität) in der Regel wesentlich tiefer und die Arbeitslosigkeit/Jugendarbeitslosigkeit zum Teil sehr hoch ist.
  • Die bereits zitierte NZZ am Sonntag vom 1.8.2010 behauptet in faktenresistenter Weise: „Personenfreizügigkeit hilft den Wohlstand zu mehren.“ Mit dem anziehenden Wirtschaftswachstum habe die Schweiz zu wenig Nachwuchs, um die leeren Stellen zu besetzen. Dank dem Freizügigkeitsabkommen gebe es keine grossen Hürden, um beispielweise für die Bauwirtschaft qualifizierte Leute in Spanien und Deutschland zu rekrutieren.
    Tatsache ist: Die Wirtschaft hat die nötigen Arbeitskräfte stets auch aufgrund von Kontingentslösungen gefunden, ohne dass wir die gravierenden Folgen der Freizügigkeit in Kauf nehmen mussten. Zudem besagt eine aktuelle OECD-Studie: Die (ungehemmte) Zuwanderung bringt langfristig zwar eine „Streckung“ der Gesamtwirtschaft, quasi ein „Breitenwachstum“, aber kein Wachstum pro Kopf. Das heisst: Der Kuchen wird aufgebläht, aber auf noch mehr Köpfe verteilt, und die Stücke werden kleiner.
    Der bekannte Ökonom Reiner Eichenberger von der Universität Freiburg stellt fest: Gerade der Kleinstaat Schweiz mit seinem offenen Kapitalmarkt und dem (noch) flexiblen Arbeitsmarkt gerät in Gefahr, durch dieses „Breitenwachstum“ an Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand zu verlieren.
  • Eichenberger stellt zudem fest: Immigration lohnt sich fiskalisch nur bei sehr hohen Einkommen, wenn die Ausländer wenige oder keine Kinder haben und wenn sie lange, das heisst 25 Jahre oder mehr, für die Schweiz produktiv sind.
  • Zum gleichen Schluss kommt der renommierte Münchner Ökonom Hans-Werner Sinn: „Im Durchschnitt belasten Zuwanderer, die weniger als 10 Jahre in Deutschland leben, pro Kopf und Jahr den Steuerzahler mit netto 2300 Euro. Erst wenn der Migrant 25 Jahre und länger in Deutschland gelebt hat, kippt die Bilanz ins Positive.“ (Weltwoche 45/08). In der Gesamtbilanz koste jeder Zuwanderer jährlich 700 Euro.
    Auch wenn sich dies nicht 1:1 auf die Schweiz übertragen lässt, weil wir im Durchschnitt wohl etwa besser qualifizierte Ausländer haben, so ist die behördliche Schönfärberei dennoch unverantwortlich.
  • Zur immer wieder gehörten Behauptung, ohne Ausländer ginge insbesondere im Gesundheitswesen nichts, stellt Eichenberger fest: „Das mag in diesem Bereich zum Teil stimmen, anderseits ist der Ausländeranteil gerade unter den Patienten sehr hoch.
  • Auch die Behauptung, die Personenfreizügigkeit sichere unser Sozialsystem, ist falsch. Rund 50% der Arbeitslosen sind derzeit Ausländer. Sie gehen in der Rezession – entgegen den Behauptungen des Bundesrates – nicht nach Hause zurück, sondern beziehen unsere attraktiven Sozialleistungen. So haben die arbeitslosen Deutschen in der Schweiz von Mitte 2008 bis Ende 2009 um rund 115% zugenommen, die Portugiesen um 85%, die Franzosen um 60% (seco, Juli 2010). Je rund 40% der Arbeitslosen-, IV- und Fürsorgegelder gehen derzeit an Ausländer, obwohl diese oft noch kaum etwas einbezahlt haben. Denn bekanntlich können EU-Ausländer Arbeitslosengelder auf Schweizer Niveau praktisch vom ersten Tag an beziehen, wenn sie in einem EU-Land ein Jahr lang einbezahlt haben. Erstaunlicherweise blenden Manager und Wirtschaftsverbände diese Seite der Medaille beharrlich aus, wohl in der Gewissheit, dass ja nachher der Staat bzw. der Steuerzahler die Lasten tragen muss.

Schönfärberei um die Personenfreizügigkeit
hf. Weil der Bundesrat und das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) ein stark geschöntes Bild über die Personenfreizügigkeit und ihre Konsequenzen für unsere Sozialwerke zeichnen, habe ich dem Bundesrat in der Fragestunde vom 14.6.2010 die folgende Frage gestellt:
Wieviel haben EU-Bürger insgesamt (sowie Deutsche, Franzosen und Portugiesen je separat) in den Jahren 2007, 2008 und 2009 in unsere Arbeitslosenkasse einbezahlt, und wieviel haben sie jeweils daraus bezogen?

Antwort Bundesrat (gekürzt):
Insgesamt halten sich die Einnahmen und Ausgaben in der Arbeitslosenversicherung (ALV) von EU-Bürgern (EU-27 inkl. Grenzgänger) die Waage.
Die von EU-Bürgern einbezahlten ALV-Beiträge beliefen sich 2007 (letzte verfügbare Zahlen; basierend auf den AHV-Abrechnungen) laut Schätzung auf insgesamt 1 Milliarde Franken (davon Deutsche 250 Mio., Franzosen 220 Mio. und Portugiesen 130 Mio. Franken).
Die von der Arbeitslosenversicherung an diese Gruppen ausbezahlten Taggelder zeigen folgendes Bild:

Herkunftsland ausbezahlte Taggeldbeträge* in Mio. Franken
 
im Jahr 2007 
2008
2009
Total EU27
581,7
580,3
920,3
Deutschland  
82,9
92,5
182,2
Frankreich 
62,7
65,4
103,6
Portugal 
144,2
149,4
226,4

                                                           
* = Betrag Taggeld plus Zulage minus Arbeitnehmer-Sozialversicherungsprämien

Kommentar: Alarmierend!
1. Die ausbezahlten Arbeitslosen-Taggelder haben von 2008 auf 2009 horrend zugenommen. Denn arbeitslose EU-Bürger sind in der Rezession nicht nach Hause zurückgekehrt, sondern sie profitieren von unseren attraktiven Sozialleistungen.
2. Falls sich die einbezahlten und die bezogenen Arbeitslosengelder zwischen 2007 und 2009 tatsächlich die Waage halten, so ist bereits das alarmierend: Denn die zugewanderten Arbeitskräfte sollten ja zunächst auf längere Sicht gar nichts beziehen, sondern einzahlen, sonst steigen die Defizite rasch ins Uferlose.
Konsequenz: Der Zugriff zu den Sozialleistungen muss erschwert werden.

  • EU will „Anpassung“ der Personenfreizügigkeit
    Gemäss NZZ vom 17.6.2010 hat die EU der Schweiz „angetragen“, das Personenfreizügigkeitsabkommen von 1999 an den aktuellen Rechtsbestand der EU anzupassen. Die Anpassung an die 2004 verabschiedete Unionsbürgerrichtlinie bindet das Aufenthaltsrecht von EU-Bürgern in allen Mitgliedstaaten „nicht mehr so strikt wie zuvor an die Ausübung einer Erwerbtätigkeit“.
  • Die Personenfreizügigkeit und die schrankenlose Zuwanderung fördern zudem ganz massiv den Kriminalitätsimport. Laut der polizeilichen Kriminalstatistik 2009 gehen beispielsweise bei den Tötungsdelikten 59,1% und bei Vergewaltigungen 62%, bei Drogendelikten sogar über 80% auf das Konto von Ausländern. Im Genfer Gefängnis Champ Dollon sind 90,5 % der Insassen Ausländer. Die öffentliche Sicherheit ist ein wesentlicher Standortfaktor für die Wirtschaft sowie für den Tourismus.

Was ist nicht zu tun?
Keinesfalls dürfen die flankierenden Massnahmen (Mindestlöhne, ein Heer von Kontrolleuren etc.) noch weiter ausgebaut werden. Insbesondere ein Mindestlohn von 3500 Franken, wie ihn der Schweizerische Gewerkschaftsbund via Volksinitiative fordert, würde noch mehr ausländische Arbeitskräfte anziehen. Für viele Ausländer wäre dieser Mindestlohn attraktiv. Zudem hätten sie laut Personenfreizügigkeit einen Rechtsanspruch, im „Bedarfsfall“ (grosse Familie!) zusätzliche Leistungen/Fürsorge zu beziehen. Und laut Professor Eichenberger würden Arbeitgeber einfach mehr Arbeitsleistung von ihren Arbeitnehmern verlangen. Oder sie würden bei den Nebenkosten für Unterkunft und Logis aufschlagen, wie man es vom Gastgewerbe kennt.

Was ist zu tun?
Der wirtschaftliche Erfolg der Schweiz beruht in erster Linie auf unserem politischen System – auf der direkten Demokratie mit weltweit einmaligen Volks- und Freiheitsrechten, auf unserer Neutralität und dem Föderalismus. Dazu kommen ein (relativ) schlanker Staat und günstige Steuern, eine gute Infrastruktur, eine gute Schul- und Berufsbildung – und natürlich leistungs- und risikobereite Unternehmer und Gewerbetreibende, sowie Bürgerinnen und Bürger, die Verantwortung tragen.

Nachdem es der Bundesrat versäumt oder nicht gewagt hat, wenigstens die sogenannte Ventilklausel anzurufen, ist es für unser Land entscheidend, dass die Personenfreizügigkeit mit wirksamen Massnahmen eingeschränkt wird. Wir müssen unsere Handlungsfähigkeit in der Zuwanderungspolitik wieder herstellen. Das bedingt meines Erachtens die Kündigung des Freizügigkeitsabkommens, damit ein besserer Vertrag ausgehandelt werden kann. Insbesondere muss der Zugriff zu unseren attraktiven Sozialleistungen erschwert werden, indem beispielsweise Arbeitslosengelder nur noch ausbezahlt werden, wenn der Ausländer mindestens einige Jahre in der Schweiz einbezahlt hat.

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