Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau



Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Damals in der Armee

Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant

Teil 1 meiner Erlebnisse aus rund 1400 Tagen Militär Montag, 21. Juli 1969.

Mit vielen Kollegen rückte ich an diesem heissen Sommertag (an dem Neil Armstrong auf dem Mond landet) in die Motorisierte Infanterie (Mot Inf) RS in Bière ein. Die Stimmung im Bière-Apples-Morges-Bähnli (BAM) ist eher lustlos. Obwohl uns ein älterer Kollege wegen der Holzbänke schalkhaft vorgewarnt hat - "S'BAM-Bähnli hät jetzt au Spis-Wäge; chum isch me abghocke, hät me scho en Spise im Füdli ine" - ist das kein Problem. Den meisten "stinkt" es. Viele hätten Ferien gehabt. Wäre jemand gekommen und hätte uns gesagt: "Ab sofort ist der Militärdienst freiwillig", so wären mit Sicherheit 90 Prozent wieder nach Hause zurückgekehrt, ich ebenfalls. Weil dieser "Jemand" aber nicht gekommen ist, habe ich nachträglich noch rund 1400 Diensttage geleistet - und ich denke, nicht zu meinem Schaden und nicht zum Schaden der Schweiz. (Die absurde Idee einer "freiwilligen Miliz" wurde dann später von sogenannten Sicherheitspolitikern wie SP-Nationalrätin Chantal Galladé und vielen ihrer Genossen vor einigen Jahren tatsächlich vertreten, ist aber zum Glück im Abfallkübel gelandet.)

Als uns Leutnant Konrad Schneider, unser Zugführer, ein sportlicher "Beau", zum ersten Mal zu Gesicht bekommt, meint er kurz: "I bi Lehrer in Fribourg und füere dert en achti Klass" - dann ruft er zackig: "Zug Schneider, mir nach!" und spurtet weit in die "Prärie" hinaus, bis er endlich anhält und wir, schweissüberströmt, etwas verschnaufen können. In kurzer Zeit schwitzen wir in jenen Tagen etliche Hemden durch, denn "Gnägi-Leibchen" gab es damals noch nicht.

Vor allem In den ersten Wochen nimmt uns der Zugführer gewaltig in die Kur. Unsere Begeisterung für ihn ist relativ gering. Als etwas nicht klappt, befiehlt er uns am Abend anstelle des Ausgangs im "Tenue blau" zur Kampfbahn. Kaum haben wir damit angefangen, kommt der alte Oberst Wettstein, der vorübergehend als Schulkommandant fungiert, auf den Platz und fragt den Leutnant vorwurfsvoll: "Worum sy die Lüüt da usse statt im Usgang?" Schneider versucht sich zu erklären - aber Wettstein meint: "Jetzt göit Dir sälber über d'Kampfbahn, Lütnant!" Diese völlige Blossstellung unseres Leutnants freut uns nur halb, denn trotz einer gewissen Schadenfreude ist es uns klar, dass Wettstein einen krassen Führungsfehler begeht. Nachdem dieser gegangen ist, bietet uns der Leutnant Zigaretten an, und wir verstehen uns in der Folge recht gut.

Einer unserer abverdienenden Unteroffiziere ist Korporal Mehr - nicht gerade der intellektuelle Typ (aber von dieser Sorte hat es ohnehin zu viele). In unserer vierten (Minenwerfer-) Kompanie hat es neben dem Zürcher und dem Solothurner auch einen welschen Zug. Eines Abends, beim Antrittsverlesen vor dem Ausgang, ist es unruhig. Korporal Mehr als "Führer rechts" (Stellvertreter des Zugführers) will die Unruhestifter ausfindig machen und ruft laut in seinem ausgeprägten Solothurner Slang: "Wär isch's?" Niemand regiert. Korporal Mehr ruft noch lauter: "Wär isch's?" Keine Reaktion. Da kommt ihm in den Sinn, dass die Welschen ihn möglicherweise nicht verstehen. Also versucht er es auf "Hochdeutsch" und schreit energisch: "Wer ist?" Schallendes Gelächter erfüllt den Kasernenhof. Ohne es zu wissen hat Mehr eine geradezu existenz-philosophische Frage (nach dem Wesen des Seins) aufgeworfen.

Gefürchtet ist insbesondere der Kompanie-Instruktor Hauptmann im Generalstab Jürg Übersax, genannt "Sexy". Er macht uns Rekruten mächtig Eindruck, und mancher macht fast in die Hosen, wenn Übersax mit dem VW-Käfer auf den Ausbildungsplatz rollt, dem Gefährt elegant entsteigt und bald einmal den ersten von uns wegen irgendetwas "zusammenscheisst". Er versteht das militärische Handwerk zweifellos, er kann aber auf Rekruten und Kadern regelrecht "herumtrampeln". Mit der Zeit wird er aber auch im Umgang ganz passabel.

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Im Herbst 1979, bei Grossmanövern in der Ostschweiz, kann ich eine gewisse Schadenfreude dennoch nicht verkneifen. Als Verbindungsoffizier zwischen der damaligen Mechanisierten Division 11 (Mech Div 11) und "meinem" Motorisierten Infanterieregiment (Mot Inf Rgt) 25 werde ich Zeuge eines Zwischenfalls: Bei einem Rapport auf dem Divisions-KP (Kommandoposten) will Divisionär Weidenmann von Oberst Reinhart, Kommandant eines Panzerregiments, wissen, warum die Zusammenarbeit zwischen Panzer und Infanterie im Bereich eines Thurabschnitts nicht geklappt habe. Dieser meint wütend: "Wenn das dieser Major (gemeint ist der ebenfalls anwesende Übersax) nicht zustande bringt, dann können wir aufhören!" Der arme Übersax macht den Eindruck, als würde er am liebsten in einem Mausloch verschwinden.

Nach Jahren sehe ich ihn zu meiner Überraschung jedoch in der "Tagesschau". Er ist jetzt Militärattaché in Moskau, sitzt am gleichen Tisch wie Gorbatschew und macht einen standesbewussten Eindruck. Ich mag es ihm gönnen.

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Unteroffiziersschule und Abverdienen im Sommer/Herbst 1970, wiederum in Bière. Einer meiner besten Kollegen ist der Solothurner Armin Flury; er ist sehr interessiert am weiblichen Geschlecht und hat eine schöne junge Freundin. Eines Tages, zurück aus dem Urlaub, erzählt er begeistert von der Mutter der Freundin, die er erstmals gesehen habe: "Ihr gloubet's nid, aber di Auti (die "Alte") isch no besser als die Jungi!". Und obwohl er praktisch kein Französisch spricht, versucht er sein Glück später auch bei den Frauen in St. Imier, wo wir in der "Verlegung" sind. Als er am Abend im Restaurant eine junge Frau erspäht, die etwas verlassen an einem Tisch sitzt, wählt er den direkten Weg und spricht sie an: "Mademoiselle, vous avez des problèmes?" Ihr Blick ist derart abweisend, dass selbst Flury aufgibt und sich rasch zurückzieht. (Fortsetzung folgt)

Hans Fehr