Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau
Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015
Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant
Teil 3 meiner Erlebnisse aus rund 1400 Tagen MilitärIm Verlauf dieser unvergesslichen RS, in der ich "den Leutnant"
abverdiene, sind wir in der Schiessverlegung in einer gut eingerichteten
Baracke in Champéry oberhalb von Monthey. Eines Tages üben wir
mit den Minenwerfer-Zügen wieder taktische Stellungswechsel.
Das heisst: Nachdem wir ein erstes Ziel bekämpft haben, müssen wir
- um nicht geortet und selbst zum Ziel zu werden - sofort zu Fuss,
samt Material und Munition, einen etwa 300 Meter entfernten neuen
Stellungsraum beziehen und von dort weitere Ziele bekämpfen - und so fort.
Eine gewaltige Anstrengung für alle - aber es läuft gut,
und mein Solothurner Zug wird entsprechend gelobt.
Als der "Grosskampftag" bald zu Ende ist - wir sind in der Nähe eines
Alpstalles in Stellung - gehe ich um den Stall herum und stehe auf der
rückwärtigen Seite vor einem vermeintlich zementierten Platz, von dem
wegen des einsetzenden Regens dicke Tropfen aufspritzen - wie eben von
einem Zementboden. Ich gehe weiter und - o Schreck - versinke bis zu
den Achseln in einer Jauchegrube mit dickflüssigem Inhalt. Irgendwie
schaffe ich es, wieder herauszukommen, über und über mit stinkender
Jauche verziert. Möglichst unauffällig melde ich mich beim Stellvertreter
vorübergehend ab, werde auf der Brücke eines Unimog S zur Unterkunft
gekarrt und befreie mich dort von der stinkenden Mistbrühe. Mit
einem sauberen Kampfanzug erscheine ich danach wieder auf der Alp,
wo das Ereignis natürlich längst die Runde gemacht hat. "Gschäch
nüt Schlimmers", lautet mein Kommentar.
Etwas sehr Schlimmes erlebe ich hingegen im Herbst 1972, in meinem
ersten WK als Zugführer. Unser Motorisiertes Füsilierbataillon
(Mot Füs Bat) 106 ist Übungstruppe für die Schiessschule Walenstadt.
Dabei ereignet sich im Nachbarbataillon bei einer Übung mit
Minenwerfern im scharfen Schuss ein schwerer Unfall. Der "Lader",
der die Wurfgranaten bei einem "Schnellfeuer" von oben ins Rohr
einführen muss (der Aufschlagzünder im Rohrboden aktiviert danach
eine Treibladung, welche die Granate auf die Flugbahn katapultiert),
tut dies im Eifer des Gefechts zu rasch: Er führt die nächste Granate
so schnell vor die Rohrmündung, dass sie von der vorherigen Granate,
die das Rohr erst gerade verlässt, weggeschleudert wird und
tragischerweise nach kurzer Distanz noch im Stellungsraum explodiert.
Mit allerschlimmsten Folgen: Mehrere Soldaten werden getötet oder
verletzt. Dieser tragische Unfall lastet für einige Zeit wie ein
schlimmes Fanal über der Truppe. Er zeigt, dass der Umgang mit Waffen
und scharfer Munition immer ein Ernstfall ist und dass kleinste
Unachtsamkeiten oder Ausbildungsmängel schwerste Folgen haben können.
Die WK und Kurse in den Folgejahren, wo ich Zugführer und dann
Stellvertreter des Kommandanten bin, sind voller besonderer Ereignisse,
die ich hier aus Platzgründen nur punktuell erwähnen kann. So "ersaufen"
wir im Winter-WK 1974 in San Bernardino buchstäblich in den Schneemassen.
Jeder Meter, der für Übungen im Gelände gebraucht wird, muss zuerst
freigeschaufelt werden. Schon im Kadervorkurs im Raum Zillis-Andeer
schneit es am Sonntag ununterbrochen. Bei einer Theorie mit dem ganzen
Bataillons-Kader meint der bereits erwähnte Jürg Übersax, nunmehr Major
und unser Bataillonskommandant, zu seinen nicht sehr motivierten Zuhörern:
"Meine Herren, reissen Sie sich zusammen! Ich kann Ihnen eines garantieren:
Den Soldaten, die morgen einrücken, stinkt es noch viel mehr.
Seien Sie Vorbilder und keine Jammerlappen!"
Der WK geht dann noch ganz leidlich über die Bühne.
Schliesslich wird unser Motorisiertes Infanterieregiment (Mot Inf Rgt)
25 - Kommandant ist der mir bereits als Turndidaktiklehrer vom
Oberseminar bekannte Oberst Hans Futter - im Bodenseeraum zur
Unterstützung des Grenzwachtkorps eingesetzt. Die Zusammenarbeit
funktioniert nach kurzer Einführung tadellos. Warum der Bundesrat
in den letzten Jahren gegenüber solchen Einsätzen immer mit Wenn
und Aber reagiert hat, ist mir unverständlich. Auch unsere heutige
Milizarmee kann solche Einsätze bei Bedarf ohne Probleme leisten.
1979 kommt mein militärisches "Schicksalsjahr". Nach den grossen
Frühjahrsmanövern des Feldarmeekorps 4 bekomme ich vom damaligen
Regimentskommandanten Oberst i Gst (im Generalstab) Bernhard Wehrli
den Vorschlag für die Zentralschule 1 (heute Führungslehrgang). In
der Schiessschule Walenstadt, die ich zunächst absolviere, lernen wir
als angehende Kompaniekommandanten vor allem, mit Übungstruppen
grössere Übungen anzulegen, durchzuführen und zu beurteilen.
Schon damals legendär ist unser Klassenlehrer, Major i Gst Ulrico Hess
- der geborene Troupier und spätere Korpskommandant - der jeweils ein
paar Stichworte für die Übungsbesprechung auf seine berühmte
Cigarilloschachtel kritzelt und die Leute zu begeistern weiss.
Zu meiner Freude treffe ich ihn gegen Ende des Jahres wieder als
Klassenlehrer in der Zentralschule auf dem Monte Ceneri, die ich bei der
Felddivision 6 unter Frank Seethaler absolviere. In jenen Wochen lernen
wir das Tessin recht gut kennen - vor allem bei Übungen im Malcantone,
im Mendrisiotto und im Raum Isone. Nach Arbeitsschluss besuchen wir mit
Hess hin und wieder kleine, versteckte Grotti, die nur er zu kennen
scheint, wo es "Salami Nostrano, Pane e Merlot" in bester Qualität
gibt und wo Clay Regazzoni wie ein Halbgott verehrt wird.
1982 übernehme ich das Kommando der Motorisierten
Schweren Füsilierkompanie IV/106, in der ich schon mehrere WK
geleistet habe. Im Frühjahr verdiene ich aber zunächst den "Kadi" ab.
Weil meine Frau und ich zwei kleine Kinder haben und die Schwiegereltern
bei Aarau wohnen, wird meinem Gesuch, in Aarau abverdienen zu können,
entsprochen, was für unsere junge Familie einiges erleichtert.
Zunächst gibt es zwei Wochen Vorkurs mit dem Kader, danach folgen
17 Wochen mit den Rekruten - eine lange aber sehr gute Zeit. In einem
2-tätigen "Kurs für angehende Einheitskommandanten" treffe ich wieder
auf den bereits aus der Offiziersschule bekannten Louis Geiger,
nunmehr Oberst i Gst und Kurskommandant. Er gibt uns hilfreiche
und praxistaugliche Ratschläge für das Abverdienen und meint:
"Wenn Sie jeweils am Wochenende nach Hause kommen, dann belasten Sie
Ihre Frau ums Himmels Willen nicht mit Ihren Militärgeschichten und
-problemen! Seien Sie voll da für Ihre Familie. Und nehmen Sie auch die
‚Staubsaugerprobleme' ernst." Geiger hatte - einmal mehr - Recht.
Beim Abverdienen in Aarau stimmt wirklich alles. Oberst i Gst Werner Frey (später Kommandant der Felddivision 5) ist ein vorbildlicher Schulkommandant. Er erzählt uns in einer lockeren Stunde, dass er als Hauptmann ein Ausbildungsjahr bei der finnischen Armee verbracht habe. Bei Hinflug habe ihm die finnische Hostess so gut gefallen, dass er sie "gerade" geheiratet habe. Auch der legendäre Adjutant und SP-Kantonsrat Salm, die Hauptleute i Gst Hubeli und Stadler und weitere Instruktoren sind echte Vorbilder. Stadler geht zwar am Anfang mit uns abverdienenden Kommandanten bis an die Grenze zur Schikane - aber mit der Zeit verstehen wir uns so gut, dass wir seiner Frau zur Geburt des ersten Kindes sogar Blumen ins Spital bringen.
(Fortsetzung folgt)