Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau



Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Damals in der Armee

Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant

Teil 4 meiner Erlebnisse aus rund 1400 Tagen Militär

Spätherbst 1982.

Mein erster WK als Kompaniekommandant. Meine Motorisierte Schwere Füsilierkompanie (Mot Sch Füs Kp) IV/106, die zum Motorisierten Infanterieregiment (Mot Inf Rgt) 25 gehört, ist in der Gemeinde Wald im Zürcher Oberland stationiert. "Ein militärfreundlicher Ort", versichert mir der Gemeindepräsident - und das bewahrheitet sich auch. Unser Schiessplatz "Wängital-Speer" ist allerdings recht weit entfernt, dafür aber ausgezeichnet - und es gibt sogar eine gute Bergwirtschaft. Auch für unsere Minenwerfer ist der Schiessplatz ideal. Eines Tages, bei schönstem Herbstwetter, ist das Schiessen wieder in vollem Gang. Die Beobachter-Unteroffiziere und die Geschützmannschaften arbeiten gut. Die Schiesswachen sind an den entscheidenden Stellen postiert, denn bei diesem guten Wetter muss mit Wanderern im Speergebiet gerechnet werden.

Im Lauf des Nachmittags taucht plötzlich ein Mann aufgeregt im Stellungsraum auf und verlangt, sofort den "Kadi" zu sprechen. "Sie haben mich dort oben fast erschossen!" klagt er mich an. Mehrere Granaten seien unmittelbar in seiner Nähe explodiert, und er werde das dem "Blick" melden. Nach und nach beruhigt er sich, und wir klären genau ab, welchen Weg er gegangen ist. Nach Rücksprache mit den Beobachtern, der Feuerleitstelle und den Schiesswachen stellen wir fest: Ein Schnellfeuer von vier Schuss ist etwa 250 Meter von ihm entfernt eingeschlagen. Die Wurfgranaten und der Widerhall von den Felswänden haben einen derartigen Lärm verursacht, dass der Mann glaubte, fast getroffen worden zu sein. Zudem stellt sich heraus, dass er kurz vor einer Schiesswache den Weg verlassen und diese auf einer sehr gewagten Abkürzung umgangen hat. Wie dem auch sei: Wir alle sind froh, dass nichts passiert ist - und dass sich der saloppe Spruch "Ein Minenwerfer-Kadi ist immer mit einem Bein im Gefängnis" nicht bewahrheitet hat.

Eine Woche später findet im Raum Zürcher Oberland/Ricken eine grössere Manöverübung statt, für welche eine "Kampfgruppe Ricken" gebildet wird - bestehend aus dem Infanteriebataillon (Inf Bat) unseres Regiments, und verstärkt durch meine Kompanie, der noch zwei Grenadierzüge unterstellt werden. Nachdem wir Mönchaltdorf "gehalten" und die Hauptachsen mit den Grenadieren gesperrt haben (einer der Grenadierzugführer ist der heutige Thurgauer Ständerat Roland Eberle) kommt in der Nacht der Befehl zur Verschiebung Richtung Ricken und zum Bezug eines gesicherten Halts. Alles funktioniert gut - und dann geschieht das Seltsame: Wir wollen Verbindung mit dem Kommandanten des Inf Bat aufnehmen, aber er ist am vereinbarten Ort (Kommandoposten) unauffindbar und bleibt wie vom Erdboden verschwunden. Wegen des Funkverbots schicke ich eine Jeep- und eine Motorradpatrouille los. Ohne Erfolg. Wir verstärken die Wachen und fassen vorbehaltene Entschlüsse (für mögliche Einsätze). Im Morgengrauen endlich erfahren wir von einem Offizier des Regimentsstabes, dass auch sie während Stunden keinen Kontakt zum Inf Bat-Kommandanten gehabt hätten. Was genau los war, habe ich nie erfahren. Am besten halten wir uns wohl an William Shakespeare, der Hamlet zu Horatio (1. Akt, 5. Szene) sagen lässt: "Es gibt mehr Ding' zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt".

Mein erster WK als Kadi endet schliesslich mit einer umfassenden Inspektion durch den Regimentsstab auf dem Schiessplatz Wängital-Speer. Das Wetter ist neblig, regnerisch und kalt - dennoch "läuft es" gut. Und im Inspektionsbericht, auf den die ganze Kompanie stolz ist, heisst es: Präsentation, Tarnung, Ausbildungsstand an der persönlichen Waffe und an den Korpswaffen, Sanitätsdienst etc. "sehr gut". Und zusätzlich steht der Satz: "Trotz des garstigen Wetters hat die Kompanie mit vollem Einsatz gearbeitet, und wir hörten keinen einzigen Fluch." Fast zu schön, um wahr zu sein. Allerdings sind nicht alle meine WK derart "harmonisch" verlaufen.

*

Der Februar-WK 1984 ist hart. Wir sind im bernischen Eriswil, am Rand des Napfgebietes, stationiert. Und es ist saukalt. Die Wache beim Kantonnement (Truppenunterkunft) hält es nur mit Spezialausrüstung - mit pelzgefütterten Mänteln, Stiefeln, Handschuhen und Mützen - und auch so nur für eine Stunde aus; dann wird sie wieder abgelöst. Auf dem Programm steht als "Höhepunkt" die mehrtägige Übung "Schneelöwe" im Raum "Eriswil/Ahorn/Trachselwald. Die drei Minenwerferzüge operieren als Jagdkampf-Detachemente im abgelegenen Gebiet der Gräben und Eggen.

Nach der Befehlsausgabe folgt der gedeckte Anmarsch mit voller Ausrüstung, dann bezieht jeder Zug ein Basislager im zugewiesenen Raum und richtet es so ein, dass man darin "leben" kann. Danach bekommen die Züge gestaffelt immer wieder neue Einsatzbefehle für Erkundungen, Verschiebungen, Säuberungen, Feuerüberfälle und dergleichen mehr. Ruhephasen wechseln ab mit harten Einsätzen. Mit "verschleiertem" Funkverkehr und Meldeläufern koordinieren wir das Ganze. In der Morgenfrühe des dritten Tages erreichen die Züge nach etlichen Einsätzen und grösseren Marschleistungen schliesslich das Schloss Trachselwald, wo die ganze Kompanie mit einem üppigen Frühstück überrascht wird. Nach dem motorisierten Rücktransport nach Eriswil, dem "Parkdienst" und dem "Inneren Dienst" (Reinigung, Dusche) und der Materialkontrolle findet vor dem Abtreten in den Urlaub die Übungsbesprechung statt. Und siehe da: Trotz Kälte und harter Beanspruchung wird "Schneelöwe" auch von den Soldaten fast einhellig als "eine gute und interessante Sache" beurteilt. Überhaupt habe ich immer wieder festgestellt, dass anspruchsvolle und möglichst realistische Übungen mit klaren Zielsetzungen von den Soldaten und vom Kader in aller Regel positiv beurteilt werden. Das galt damals, und es gilt auch heute.

Nicht sehr erfolgreich ist die Übung "Schneelöwe" indes für mich selbst. Weil ich auf dem steinhart gefrorenen Boden mit eher "suboptimalen" Stiefeln nicht nur marschiere, sondern bei den Einsätzen der Züge auch oft an Ort und Stelle verharren muss, verfärben sich die Zehen meines linken Fusses in der Folge immer mehr ins Violette - und vor allem werden sie völlig gefühllos. Es dauert sechs Wochen, bis die Zehen wieder zur Normalität zurückgefunden haben.

Im gleichen WK 1984 verschiebt sich unser Bataillon für eine Übung nach Bure. "Schulung der Zusammenarbeit Panzer/Infanterie" lautet das Thema. Unser Partner ist das Panzerregiment 3 unter dem straffen Kommando von Oberst i Gst Hans-Rudolf Blumer, dem späteren Kommandanten der Mechanisierten Division (Mech Div) 11, dem ich damals zum ersten Mal begegne. Die Übung läuft über mehrere Phasen - und selbstverständlich über Nacht - und es ist einmal mehr saukalt, aber dank viel "Bewegung" und guter Ausrüstung erträglich. Wir gehen schlussendlich weit weg von den Kasernen an der Peripherie des Waffenplatzes in Stellung, um einen möglichst grossen Wirkungsraum für die Minenwerfer zu gewährleisten.

Unmittelbar nach Übungsabbruch soll die Übungsbesprechung stattfinden. Aber die "Abbruch-Meldung" erreicht uns viel zu spät. Im Laufschritt spurten wir mehrere Kilometer zur Besprechung und kommen dort dennoch etwas zu spät an. Oberst Blumers spitzer Kommentar: "D' Minewerfer chömmed natürli wieder emal zspat!" erfüllt uns mit Wut. Aber der Stolz verbietet mir jede Rechtfertigung. Denn schon damals hatte ich mir die "Lebensweisheit" erinnerlicht: "Die Begründung des Misserfolgs interessiert nicht." Die logische Konsequenz in allen Lebenslagen muss deshalb lauten: "Erfolg sicherstellen, statt Misserfolg begründen!" - auch wenn dies nicht immer gelingt.

(Fortsetzung folgt)

Hans Fehr