Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau
Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015
Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant
Teil 2 meiner Erlebnisse aus rund 1400 Tagen Militär Ausgerechnet in St. Imier hätte sich mein erwarteter
Vorschlag für die Offiziersschule beinahe in Luft aufgelöst.
Der Ausgang ist eines Abends etwas lang geworden, und als ich
endlich schlafen gehe - ich teile das Zimmer mit dem bereits
beschriebenen Armin Flury - sind wir beide der festen Meinung,
der "andere" habe den Wecker gestellt. Am andern Morgen, es
ist schon verdächtig hell, schrecke ich plötzlich aus dem Schlaf.
Und oh Schreck: Statt 0530 Uhr ist es zehn vor sieben. Und um sieben
Uhr ist Antrittsverlesen! Verantwortlich für die Bereitschaft
der vielen Unimog S (Blachen gerollt, Material und Munition
verladen) bin ich als "Führer rechts". Blitzschnell stürzen
wir uns in den Kampfanzug und rennen hinter zum Bahnhofplatz.
Schon von weitem höre ich den Kompaniekommandanten laut fluchen:
"Welches faule Ei ist hier verantwortlich?" Ich melde mich und
stottere irgendetwas. "Das hat Folgen. Sie werden von mir hören!"
kanzelt mich der Kadi ab. Nach einigen Wochen gibt er mir dennoch
den Vorschlag - weil es eine einmalige Schlamperei gewesen sei und
er eine "Gesamtbeurteilung" vorgenommen habe. Erleichtert und mit
dem Gedanken "Es gibt noch eine Gerechtigkeit" melde ich mich ab.
Infanterie-Offiziersschule (Inf OS) 1971, Zürich. Am Morgen des zweiten
Tages sind wir Aspiranten beim Frühstück in der Kantine. Es ist die
Zeit der 4- und 6-Pfünder-Brote und der Vierfruchtkonfitüre. Wir sind
hungrig und schneiden grosse Brotscheiben ab, bestreichen sie reichlich
mit Butter und Vierfruchtkonfitüre - und "schieben" sie in den Mund.
Da kommt der OS-Kompaniekommandant, Hauptmann i Gst (im Generalstab)
Louis Geiger (der spätere Divisionär, leider vor einigen Jahren verstorben)
herein und befiehlt: "Das Ganze halt! Ich sage Ihnen jetzt, wie man
Konfitürenbrote isst: Das Brot ist in mundgerechte Brocken zu zerteilen,
diese sind einzeln zu bestreichen und dann in den Mund zu führen."
So haben wir neben viel Militärischem auf Ziviles gelernt.
Eines Tages gibt es während einer Übung eine Unklarheit.
Ein Auftrag wird nicht zur Zufriedenheit von Hauptmann i Gst Geiger,
der gerade als Klassenlehrer fungiert, ausgeführt. Er stellt den
verantwortlichen Kameraden zur Rede. Dieser will sich rechtfertigen
und stottert: "Herr Hauptme, Aspirant X, es hät gheisse …" Weiter kommt
er nicht. Geiger schneidet ihm das Wort ab mit der Bemerkung, "es hät gheisse"
existiere in einer Infanterie-Offiziersschule nicht. "Wenn Sie solche
Ausdrücke brauchen wollen, dann gehen Sie zu den Train-Rekruten. Die reden so!"
Schiessverlegung im Münstertal. Im Spätsommer sind wir bei zumeist
schönem Wetter drei Wochen in der Schiessverlegung im Biwak auf der
Alp Campatsch oberhalb von Lü/Lüsei mit unserem Klassenlehrer Hauptmann
i Gst Ostertag, dem späteren Divisionär. Eines Tages bekommen wir zu
dritt die Bewilligung, mit dem Jeep hinter nach Schuls zu fahren - zwei
Aspiranten müssen zum Arzt, ich wegen einer herausgebissenen Plombe
zum Zahnarzt. Fahrer ist Aspirant Attinger. Bis vor Lavin geht alles gut,
dann muss der zu schnelle Attinger wegen einer Baustelle abrupt bremsen,
der Jeep gerät auf der nassen Fahrbahn ins Rutschen, fährt auf die
Strassenböschung und kippt zu unserem Schrecken zur Seite. Ich habe
ein Bein eingeklemmt und hinke, die andern haben ein paar Prellungen
- weiter nichts. Aber der Jeep ist sichtbar lädiert, einiges ist verbogen.
Was nun? Die Bauarbeiter helfen uns, den Jeep wieder aufzustellen.
Attinger fährt zur nahen Garage und überredet den Inhaber, den Jeep rasch
und wenigstens einigermassen zu reparieren. Und uns bestürmt er, wir
müssten nun "gute Kameraden sein". Wenn die Geschichte auskomme,
werde er ohne Wenn und Aber nach Hause geschickt. Wir haben Bedenken,
wollen aber natürlich "gute Kameraden" sein und erfinden gemeinsam
eine einigermassen plausible Erklärung, warum wir erst am späteren
Abend wieder auf der Alp eintreffen. Ostertag hört sich die Geschichte
an, scheint aber nur halbwegs überzeugt. Nach zwei Tagen will er die
Sache nochmals hören - und am Schluss sagt er: "Meine Herren, jetzt
sagen Sie mir, wie es wirklich gewesen ist!" Und so sagen wir eben
die Wahrheit - und bitten um "Gnade" für Attinger, denn wir fühlen
uns mitschuldig. Am Ende der Verlegung, zurück in der Kaserne,
werden wir am Abend mit Helm und Bajonett zu Kompaniekommandant
Geiger befohlen. Und er erteilt uns - in einem würdig-feierlichen
Rahmen - einen Verweis. Grund der milden Strafe: Falsch verstandene
Kameradschaft.
Zur Infanterie-Offiziersschule gehören auch einige lehrreiche Wochen
an der Schiessschule Walenstadt. Wir lernen Gruppenübungen anzulegen,
Übungen zu leiten, vertiefen uns in die Schiesslehre, es gibt viel
Sport und einen 50 km-Marsch, und wir sollen auch die Schiessfertigkeit
mit der persönlichen Waffe verbessern. Im Walenstadterberg hat es
Parcours mit elektronischen Tarnscheiben. Als ich mich anschicke,
auf eine solche Scheibe zu schiessen, taucht plötzlich Geiger neben
mir auf: "Wie viele Schüsse brauchen Sie, um jene Scheibe zu treffen?"
Ich schätzte die Distanz und komme gemäss Schiesslehre auf nur einen
Schuss. "Also los!" befiehlt Geiger. Erster Schuss - die Scheibe macht
keinen Wank. "Schlechter Schütze", meint Geiger. Zweiter Schuss - wieder
daneben. "Sehr schlechter Schütze!" kommentiert Geiger. Dritter Schuss
- die Scheibe zeigt sich wieder unbeeindruckt. "Miserabler Schütze -
Sie müssen üben, üben, üben!" meint Geiger bissig und begibt sich
von dannen. Ich bleibe fortan ein "mittelprächtiger" Schütze und
tröste mich mit dem Ausspruch des seinerzeitigen Korpskommandanten
Ulrico Hess, der als eher mittelmässiger Schütze jeweils meinte:
"Ich mue gar nid gut chöne schüsse, ich mue defür sorge, dass mini
Soldate (vom Feldarmeekorps 4) gut schüssed."
In der Winter-RS 1972 verdiene ich den Leutnantsgrad ab, wiederum in
"vertrauten" Bière. (Wenn immer möglich, habe ich damals meine
Beförderungsdienste in der kälteren Jahreszeit geleistet, in der Überzeugung:
Gegen Kälte kann man sich schützen, gegen die Hitze kaum).
Dieser Grundsatz beginnt aber wegen der ekelhaften Bise, die oft über
die "Prärie" von Bière hinwegfegt, hin und wieder zu wanken.
Mein ehemaliger Schulkollege Andreas Farner, der zu meiner freudigen
Überraschung in der gleichen Kompanie den Leutnant abverdient, meint
denn auch zurecht: "Das schönste Tenue im Militär ist doch immer
wieder das Pyjama!"
Der Schulkommandant, Oberstleutnant Piot, ein väterlich-würdiger Vaudois alter Schule, ehemaliger Lehrer in Bière, der alle und alles kennt, führt die RS wie ein Patron und ein "homme de culture", straff und zugleich mit Kompetenz, Würde und Autorität. Mehrmals befiehlt er das ganze Schulkader zu einer speziellen "Übung": Wir verschieben uns am Abend in irgendein Waadtländer Dorf abseits der Heerstrasse - und landen in einem verborgenen ländlichen Château oder in einem äusserlich unscheinbaren "Relais gastronomique", und es gibt ein Fest sondergleichen mit guter Küche, der Dorfmusik (Les fanfares), örtlichen Behördevertretern und Kurzansprachen. Neben den militärischen Angelegenheiten funktioniert so auch der kulturelle Austausch bestens.
Bei grösseren Übungen und in den Verlegungen lernen wir Deutschschweizer mehr oder weniger die ganze Westschweiz kennen: Le Marcheruz, La Brévine, Neuchâtel, die Vue des Alpes, das Grosse Moos, das Broyetal, das Gros de Vaud, das Wallis vom Pfynwald bis Champéry, den Kanton Freiburg und vieles mehr. Ich hoffe, dass davon trotz WEA - der "weiterentwickelten Armee" mit bloss 100'000 Mann - noch etwas übrig bleibt.
(Fortsetzung folgt)