Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau



Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



iPhone-Eltern im Stress

Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission

Meine Beiträge im Jahr 2016

Gastbeitrag BaZ vom 10.10.2016

Neben sogenannt "strategischen" Überlegungen und vermeintlich grossen politischen Würfen für eine bessere Welt sollten meines Erachtens auch die kleineren, alltäglichen Dinge nicht vergessen werden. Auch sie können wichtig und erst noch mit wenig Aufwand realisierbar sein. Ein Beispiel.

Ein kleines Stimmungsbild

Im Wartezimmer beim Kinderarzt, wohin wir Grosseltern unsere Tochter mit ihren beiden Kleinkindern begleiten, weil wir gerade am allwöchentlichen "Hüten" sind, gibt es haufenweise gutes Spielzeug. Die Kinder können mit dem Holzauto oder mit dem Holztraktor fahren, mit einem Bagger und mit Puppen spielen, durch Knopfdruck Tiere kennenlernen und ihre typischen Laute hören, Bilderbücher anschauen, Holztürme bauen und vieles mehr. Ein echtes Kinderparadies. Es sind jeweils mehrere Mütter oder Elternpaare mit ihren Sprösslingen anwesend, bis sie an der Reihe sind und neue kommen.

Was besonders auffällt: Viele Mütter und Väter sind permanent am iPhone beschäftigt. Hin und wieder wollen ihnen ihre Kinder etwas zeigen - wie ein Spielzeug funktioniert, dass sie auf dem Traktor fahren können, dass sie einen hohen Turm gebaut haben, welches Tier sie gerade erkannt haben und dergleichen mehr. Aber oft haben die Eltern am iPhone keine Zeit. Sie widmen sich im besten Fall einige Sekunden ihrem Kind, scheinen sich aber an der Unterbrechung eher zu stören. Sie tippen unablässig irgendwelche Botschaften in die Tasten und haben eine scheinbar wahnsinnig wichtige Kommunikation oder eine entscheidende virtuelle Herausforderung zu bewältigen.

Comunicazione diretta o virtuale?

Ein Ehepaar, dessen kleiner Sohn seinen derart beschäftigten Eltern mehrmals erfolglos etwas zeigen will, nervt mich - obwohl es mich eigentlich nichts angeht - derart, dass ich mich nicht zurückhalten kann. Weil ich mitbekommen habe, dass sie Italienisch sprechen (und gerade, weil ich die Italiener in der Regel als besonders kinderfreundlich erlebe), sage ich: "Non sarebbe meglio comunicare in modo diretto con Suo figlio invece di fare una comunicazione virtuale?" (Wäre es nicht besser, Sie würden sich mit Ihrem Sohn abgeben statt virtuelle Spiele zu machen?). Sie schauen mich eher verblüfft und verständnislos an und verschwinden nach erfolgter Visite bald die Treppe hinunter. Noch einige Zeit hallt das Schreien des Sohnes durch das offene Treppenhaus, der seinen Eltern noch ein besonderes Spielzeug hatte zeigen wollen, wofür aber offenbar keine Zeit mehr vorhanden war.

Ein ähnliches Bild auf einem grossen Spielplatz in der Nähe. Viele Mütter und zum Teil auch Väter sind mit ihren Kindern da. Die Kinder freuen sich, die Herbstsonne und das Herbstlaub sind herrlich, der See glänzt in herbstlicher Schönheit. Aber viele Eltern scheinen das nur am Rande wahrzunehmen. Sie sind fast permanent in offenbar wiederum hochwichtige Gespräche am Handy oder am iPhone vertieft. Oder sie tippen auch während des Kinderwagenschiebens mit flinken Fingern ihre scheinbar existenziell wichtigen Botschaften und senden sie in die Welt hinaus.

Wider den künstlichen Stress

Schade eigentlich. Die Kleinkinderjahre, in denen die Kinder die Welt entdecken und sich zusammen mit den Eltern an den kleinsten Dingen freuen können, sind begrenzt. Wenn die iPhone-Mütter und -Väter diese Phase zum einem grossen Teil verpassen, so verpassen sie eine entscheidende Lebensphase für ihre Kinder und für sich selbst. Dass auch ein Gefahrenpotential für die Kinder von ständig online-vernetzten und derart abgelenkten Eltern besteht, kommt dazu.

Ich weiss, dass die heutigen Mütter und Väter von Kleinkindern in einem andern technisch-elektronischen Zeitalter leben als wir vor einigen Jahrzehnten. Auch wir wollten damals als junge Eltern vieles unter einen Hut bringen: Familienleben, Erziehung, Beruf, Teilzeitarbeit für Mütter, Weiterbildung, lange Militärdienste, Hobbies, Reisen, Vergnügen. Aber zum Glück kannten wir die dauernde Vernetzung und die ständige online-Kommunikation der heutigen "Stress-Generation" noch nicht. Wir haben uns nicht derart unter künstlichen Stress gesetzt.

Dabei wäre die Sache auch heute für junge Eltern ziemlich einfach: Schalten Sie Ihr Handy oder iPhone zu gewissen Zeiten auf stumm, oder schalten Sie es ab. Sie werden dadurch viel gewinnen - und Ihre Kinder werden es Ihnen danken.