Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau



Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Damals in der Armee

Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant

Teil 5 meiner Erlebnisse aus rund 1400 Tagen Militär

WK 1983 im glarnerischen Niederurnen.

Im WK 1983, wir sind im glarnerischen Niederurnen stationiert, weht ein "straffer Wind". Der neue Bataillonskommandant (Bat Kdt), Major i Gst Konrad Peter (später Kommandant des Flughafenregiments 4 sowie VR-Präsident - und vorübergehend zugleich CEO - des Rüstungskonzerns RUAG), ein sehr fähiger Mann, übernimmt das Mot Füs Bat 106. Er ist mir schon früher aufgefallen als Hauptmann im Stab der Mech Div 11, und zwar bei einer Übung im Funkführungskurs 1977. Unsere Gruppe von Subalternoffizieren hat von ihm im Raum Eglisau den Auftrag bekommen, einen Entschluss zu fassen und zwei Lösungsvarianten auf dem üblichen Packpapier vorzutragen. Nachdem Hptm i Gst Peter die Variante 1 gehört hat, verlangt er nach Variante 2. Als sich niemand regt, doppelt er nach: "Wer trägt Variante 2 vor?" Endlich meint der dienstälteste Oberleutnant: "Herr Hauptmann, wir haben nur eine Variante." Nach einer kurzen Pause erwidert Peter mit eisiger Stimme: "Meine Herren, so nicht!" Und wir gehen kleinlaut nochmals an die Arbeit.

Fortan ist der Tarif klar. Halbheiten duldet Konrad Peter nicht - und schon gar nicht als Bat Kdt. Das zeigt sich im erwähnten WK 83 sehr rasch. Ort des Geschehens: Schwägalp. Thema: Angriff einer Füsilierkompanie im scharfen Schuss. Der Kompaniekommandant (im Zivil später Oberrichter) übt die Aktion unter den kritischen Augen von Major Peter ein. Als seine Füsiliere ohne jeden Schwung wie "lahme Enten" davonwatscheln, zerschneidet Peters scharfe Stimme die Luft: " Gopfried Stutz, lueg emal, dass sich dini Lüüt beweged, das isch doch kein Agriff!" Der gemächliche Kadi meint darauf beschwichtigend: "Ja weisch, wänns merked ‚Jetzt chunnt's druf a' seckleds dänn scho." Major Peter - etwa einen gefühlten Meter über Boden - ruft mit schneidender Stimme: "Jetzt chunnt's druf a!" Dieses Ereignis - und wohl noch einige weitere Vorkommnisse - führen dazu, dass der betreffende Kadi im nächsten WK in unserem Bataillon "nicht mehr gesehen ward".

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WK im Mai 1985 in Innerthal am Wägitalersee. Neben dem "Militärischen" hat dieser einzigartige Ort mit der 1922-25 errichteten 111 Meter hohen Staumauer und mit den Schicksalen, die damit zusammenhängen, eine besondere Faszination. Ich lasse an einem Abend die ganze Kompanie von einem Zeitzeugen über dieses einschneidende Ereignis orientieren - als Alt-Innerthal nach und nach für immer in den Fluten verschwand. Das Dorf wurde oberhalb des Stausees weitgehend neu gebaut. Die Lichtbilder und die Erzählungen des Referenten über das Verschwinden eines Dorfes und über den Umstand, dass von damals rund 300 Einwohnern über 100 das Tal verlassen mussten, macht allen einen tiefen Eindruck.

Schon beim Rekognoszieren wird mir klar, dass hier ein besonderer Menschenschlag zu Hause ist. Der damals 84-jährige Förster, der auch für die Schiessplätze hoch über dem See, Richtung Mutteristock, zuständig ist, marschiert in einem Tempo bergan, dass ich ihm nur mit grösster Mühe zu folgen vermag. Dies, obwohl ich einigermassen trainiert bin und in der Folge etliche Waffenläufe und siebenmal den "Hunderter von Biel" absolviere. Als der Förster endlich eine Pause macht, meint er: "Ich bin dankbar, dass ich noch so bergtauglich bin, aber ich bin eben fast jeden Tag unterwegs." Seine Frau gebe ihm seit Jahr und Tag immer eine warme Suppe mit, und darum gehe es ihm mit 84 Jahren immer noch so gut.

Natürlich kommt meine Motorisierte Schwere Füsilierkompanie (Mot Sch Füs Kp) IV/106 in diesem WK auch militärisch nicht zu kurz. Nach verschiedenen Übungen steht einmal mehr eine Inspektion auf dem Programm. Wir bekommen den Befehl, ein vielfältiges Inspektionsprogramm zusammenzustellen und es dem Regimentskommandanten, dem Winterthurer Oberst im Generalstab Peter Arbenz (später Delegierter des Bundesrates für das Flüchtlingswesen und Kommandant der Grenzbrigade 6) zu präsentieren. Für die nötigen Überraschungen werde er dann schon sorgen.

Und diese "Überraschung" - allerdings der unliebsamen Art - kommt. Bei Inspektionsbeginn liegt der Spitzenzug im Bereich der Staumauer gefechtsmässig in Deckung bereit. Weil wir zu wenig Fahrzeuge haben, haben wir zwei Unimog S samt Fahrer von der Nachbarkompanie in Vorderthal "ausgeliehen", die verspätet eintreffen. Als Arbenz auf den Platz kommt, nimmt er selbstverständlich genau diese beiden Fahrer und ihre "suboptimal" getarnten Fahrzeuge unter die Lupe. Und er führt mit den beiden Fahrern ein fast einstündiges "Lehrgespräch" über Fragen der optimalen Tarnung und wirft damit unser stolzes Programm mit Feuerüberfall, Minenwerfer-Einsätzen und weiteren Höhepunkten über den Haufen. Mich konfrontiert er sodann mit neuen Lagen und Befehlen und hält uns so auf Trab. Obwohl die Inspektion insgesamt dennoch gut "läuft", sind wir wütend auf die schlampigen Fahrer der andern Kompanie. Aber nach dem bereits zitierten Leitsatz "Erfolg sicherstellen, statt Misserfolg begründen" nehme ich mich selber an der Nase. Ich hätte den Erfolg durch "präventive Massnahmen" sicherstellen müssen. Denn wie schon erwähnt: "Die Begründung des Misserfolgs interessiert nicht."

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Herbst 1986. Mein fünfter und letzter WK als Minenwerfer-Kadi findet im bernjurassischen Sonvilier statt. Die Region und die welsche Atmosphäre gefallen uns. Vorübergehend wird aber mein Einvernehmen mit dem neuen Bat Kdt, einem "Profi", getrübt. Weil ich als Parteisekretär unmittelbar vor dem Einrücken noch eine wichtige Wahlzeitung in Grossauflage abschliessen muss, und weil aus technischen Gründen im letzten Moment eine Verzögerung eintritt und Umstellungen nötig sind, ersuche ich den gerade anwesenden Oberst Arbenz im Kadervorkurs (KVK) im Raum Solothurn um einen Tag Urlaub. Er bewilligt dies und sagt, er werde den Bat Kdt direkt informieren. Eine Woche später "scheisst" mich dieser vor dem versammelten Kader lautstark "zusammen". Ich hätte mich gefälligst an den Dienstweg zu halten und basta. Womit er natürlich Recht hat. Ich hätte mich nun langatmig rechtfertigen und die Sache begründen können, antworte aber lediglich mit "Verstanden".

Gegen Ende des WK verschieben wir uns nach St. Stephan/Matten im Berner Oberland, wo wir drei Tage in einem Barackenlager hausen und ganz hinten im Fermeltal auf einem hervorragenden Schiessplatz intensiv üben. Dabei mache ich wieder die "alte" Erfahrung: Die Leute arbeiten am besten, wenn anspruchsvolle Übungen mit klaren Zielsetzungen durchgeführt werden. Bei mehreren Wettbewerbsschiessen mit den drei Minenwerferzügen sind alle mit grossem Einsatz dabei; sie wollen, dass der eigene Zug möglichst gut abschneidet.

Der motorisierte "Rückmarsch" in den Raum Winterthur - abseits der "Heerstrasse" - konfrontiert uns trotz Winterausrüstung und Aufwärmhalt mit einer geradezu sibirischen Kälte. Als wir endlich - ich im Jeep - in Aadorf ankommen, wo wir demobilisieren, fühlen sich meine Füsse wie Eisklumpen an. Als mich der erwähnte Bat Kdt - wir haben uns längst versöhnt - vor der Kompanie nach diesem letzten WK verabschiedet, bringe ich wegen totaler Heiserkeit kaum einen Ton heraus. So endet meine Zeit als Minenwerfer-Kadi ziemlich "wortlos" - und zugleich mit einer gewissen Wehmut.

(Fortsetzung folgt)

Hans Fehr