Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau



Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Damals in der Armee

Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant

Fazit nach 1400 Tagen Militär (Teil 9/Schluss)

Nach dem Ende meiner Meine aktiven Militärdienstzeit

Ich könnte noch lange von meinen Diensterlebnissen - über die "Welt von gestern" (Stefan Zweig) - erzählen. Seitdem ich im heissen Sommer 1969 in die Motorisierte Infanterie-RS in Bière eingerückt bin, habe ich während 1400 Diensttagen, also rund vier Jahren, unglaublich viel Positives, aber auch Negatives erlebt. Ich erlaube mir nun, aus meiner persönlichen Sicht ein paar Forderungen an die Armee von heute und morgen aufzulisten.

Meine aktive Militärdienstzeit ist zwar Ende 2002, mit 55 Jahren, offiziell zu Ende gegangen. Ich habe mich aber weiterhin intensiv mit sicherheitspolitischen Fragen befasst, insbesondere als Mitglied der nationalrätlichen Sicherheitspolitischen Kommission. Und ich darf auf meine "Fahne" schreiben, dass ich meine Motion, wonach die Armee jährlich fünf Milliarden Franken zur Verfügung hat, nach intensiver Überzeugungsarbeit im bürgerlichen Lager durch beide Räte "gebracht" habe.

Dass sich eine Milizarmee im Laufe der Zeit auf neue Bedrohungen ausrichten muss, liegt auf der Hand. Ich habe aber in kurzer Zeit derart viele Reformen und eigentliche "Liquidationen" erlebt - von der Armee 61 zur Armee 95, zum "Entwicklungsschritt" 08/11, zur "Armee XXI" und zur "Weiterentwickelten Armee" (WEA) - dass es auf keine Kuhhaut geht. Kaum war eine Reform einigermassen aufgegleist, wurde bereits die nächste vorangetrieben. Dies oft ohne klares Konzept und aufgrund von lebensfremden friedenspolitischen Illusionen wie "Sicherheit durch Kooperation" unter Adolf Ogi. Ein klares Konzept haben offenbar vor allem die Armeeabschaffer. Ihre Forderungen und Massnahmen zur Schwächung, Zweckentfremdung und Liqudation der Armee haben "System" - und leider auch Erfolg.

Kernauftrag: Kriegsverhinderung und Verteidigung

Beim Kommandowechsel zu Frutiger macht im Stab die unfrohe Botschaft die Runde: "Achtung. Jetzt kommt einer, der im auch im heiklen Territorialbereich - dem Scharnier zwischen Militär und zivil - mit der "Schürfraupe" ans Werk geht!" Denn er führt mit seinem Bruder die Firma Frutiger, die sich auf schweres Gerät, auf Schürfraupen, Baumaschinen, Reinigungsanlagen für schwere Lastwagen und dergleichen spezialisiert hat. Die Realität: Alles dummes Geschwätz! Frutiger führt das Regiment von Beginn an ausgezeichnet, er hat einen guten Draht zu den Leuten, und man weiss, was er will. Die Sache ist im Grunde genommen einfach: Wir brauchen wieder eine Milizarmee, die den Verfassungsauftrag erfüllen und das eigene Land schützen und verteidigen kann. Denn die Mär von der "kollektiven europäischen Verteidigung" ist wenig überzeugend. Ich halte es damit wie jener Blinde, der sagte: "Ich glaube nur, was ich sehe."

Artikel 58 unserer Bundesverfassung nennt den Kernauftrag klipp und klar: "Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung." Nur die Erfüllung dieses Kernauftrags rechtfertigt unsere Milizarmee. Eine andere Rechtfertigung (wie Auslandeinsätze, WEF, Pistenstampfen, Tribünenbau für Sportanlässe und dergleichen) braucht sie nicht.
Der Kernauftrag bedeutet: Unserer Armee muss im Zeitalter gewaltiger Rüstungspotentiale von Afrika bis Fernost und chaotischer Konflikte unweit von unserer Haustür sowie in Anbetracht der aktuellen Völkerwanderung und offener Grenzen (auch für gewaltbereite Fanatiker und Terroristen) im eigenen Raum für Sicherheit sorgen. Und sie muss - als gefährlichste Feindmöglichkeit - den Verteidigungskampf führen können gegen einen Angreifer, der eine Angriffsaktion vermutlich mit Luftraumverletzungen, Terroraktionen und elektronischer Kriegführung zur Ausschaltung unserer Versorgungssysteme und unserer Infrastruktur einleiten würde.

Konkret: Unterhalb der Kriegsschwelle, insbesondere bei Terrorgefahr, muss die Armee beispielsweise in der Lage sein, viele zivile Einrichtungen (Kraftwerke, Schaltanlagen, Flughäfen, Bahnhöfe, Verkehrsachsen und dergleichen) gleichzeitig und über längere Zeit zu bewachen oder zu überwachen. Zudem muss sie in der Lage sein, nötigenfalls das Grenzwachtkorps zu verstärken sowie Katastrophenhilfe zu leisten. Das bedingt viele Soldaten und Mittel - weit mehr als die 100'000 Mann gemäss WEA. Und oberhalb der Kriegsschwelle, wenn der Verteidigungskampf geführt werden muss, reichen die derzeitigen WEA-Bestände und Mittel ohnehin nicht weit.

Die WEA als Sockel

Eines ist klar: Die Armee der 80er Jahre, zur Zeit des Kalten Krieges, mit 600'000 Mann, gegen 300 Kampfflugzeugen, 7000 Maschinengewehren, 1300 Panzerabwehrkanonen, 3000 Minenwerfern, 540 Panzerhaubitzen, 800 Kampfpanzern und 1300 Schützenpanzern sowie einer Vielzahl von Befestigungen, Bunkern und permanenten Sprengobjekten wird es nicht mehr geben.

Anderseits ist klar: Die WEA, die seit dem 1.1.2018 umgesetzt wird, kann den Verfassungsauftrag mit den vorgesehenen Beständen und Mitteln nicht (oder nur punktuell und zeitlich sehr begrenzt) erfüllen. Allein für die Verteidigung der Stadt Basel musste vor einigen Monaten im Rahmen einer grossen Übung eine ganze Panzerbrigade eingesetzt werden. Allerdings sehe ich derzeit keine realistische Alternative zur WEA. Darum akzeptiere ich die WEA, aber nur als vorläufigen Sockel: Mittelfristig muss unsere Milizarmee auf diesem Fundament so rasch als möglich wieder glaubwürdig auf- und ausgebaut werden, und zwar mit den folgenden Schwerpunkten:

Konsequentere Ausrichtung auf den Armeeauftrag "Verteidigung" (auch gegenüber sogenannt "modernen" Bedrohungen); Verdoppelung des Bestandes auf rund 200'000 Mann, insbesondere durch eine längere Dienstzeit; höherer Anteil an Kampftruppen (u.a. mit einer vollwertigen dritten Mechanisierten Brigade), Verbesserung der Mobilmachung (Teile innert Stunden, Gros innert 2-3 Tagen einsatzbereit); eine glaubwürdige Luftwaffe und Boden-/Luftverteidigung; bestmöglicher Schutz des einzelnen Soldaten.

Gleichzeitig muss die weitere Liquidation von Panzern, Schützenpanzern, Festungskanonen, Festungsminenwerfern, Festungswerken, Geländeverstärkungen und permanenten Sprengobjekten gestoppt werden. Sie haben immer noch einen gewissen Wert und müssen mindestens zum Teil wieder "aktiviert" werden können.

Üben, üben, üben

Gemeinsame Übungen grosser Verbände mit zivilen Stellen und Behörden - mit realistischen Szenarien und überraschenden neuen Lagen (zum Beispiel Wirtschaftskrieg, Erpressung) - müssen periodisch stattfinden. Die Zeiten, da Bundesräte und Regierungsräte bei Kaffee und Gipfeli nebenbei informiert wurden, was sie "tun würden, wenn" - sind vorbei. Sie müssen in ihrer Funktion voll einbezogen werden und Entscheide treffen.

Zudem muss der Militärdienst auch für die Truppe "attraktiver" werden. Dies ebenfalls stufengerecht durch realitätsnahe, anspruchsvolle Übungen in der RS und im WK - und mit einer kriegstauglichen Ausbildung und Ausrüstung. Ebenso muss den jungen Leuten die Bedeutung der bewaffneten Neutralität als hochmodernes Konzept für unsere Sicherheit bereits im Geschichts- und Staatskundeunterricht aufgezeigt werden.

Gleichzeitig ist die Abwanderung in den Zivildienst zu erschweren. Nur schon die aktuelle WEA braucht jährlich rund 18'000 neue Rekruten. Die derzeit jährlich 6000-7000 "Abgänge" gefährden den Armeebestand mehr und mehr. Die Wehrgerechtigkeit darf nicht weiter ausgehöhlt werden durch die freie Wahl und den Weg des geringsten Widerstandes. Es geht nicht an, dass man wählen kann, ob man lieber um 16 Uhr im Altersheim Tee serviert und um 17 Uhr nach Hause geht oder ob man militärische Nachtübungen und Strapazen auf sich nimmt und im Ernstfall sein Leben für unser Land einsetzt.

Richtiger Planungsbeschluss

Der Entscheid von VBS-Chef Guy Parmelin, die Erneuerung der Luftwaffe und der bodengestützten Luftverteidigung (BODLUV 2020) mit einem Planungsbeschluss über acht Milliarden Franken während acht bis zehn Jahren voranzutreiben, ist meines Erachtens richtig. Parlament und Volk sollen einen Grundsatzentscheid pro oder contra Luftverteidigung/Armee fällen und nicht über Flugzeugtypen entscheiden. Dass das die linken Armeeabschaffer kritisieren, weil sich ein bestimmtes Flugzeug (siehe Gripen) leichter bekämpfen lässt, ist ein zusätzlicher Beweis für die Richtigkeit von Parmelins Vorgehen. Entscheidend ist, dass das bürgerliche Lager geschlossen auftritt.

Appell des Chefs VBS

Der Chef VBS - unterstützt von geeigneten Offizieren, Soldaten, Müttern und jungen Frauen - muss meines Erachtens zu gegebener Zeit eine Informationskampagne "Die Armee schafft Sicherheit" zur besten Sendezeit am Fernsehen starten. Sie müssen der breiten Bevölkerung den Nutzen unserer Milizarmee darlegen. Und sie müssen aufzeigen, warum es diese und jene Investition braucht und warum es sich lohnt, in die Sicherheit und in die Freiheit zu investieren.


Hans Fehr