Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau
Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015
Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant
Teil 14 meiner Erlebnisse aus 35 Jahren aktiver PolitikMehr und mehr befassen sich im Lauf des Jahres 1990 Parteien und
Wirtschaftsverbände mit der Frage eines allfälligen Beitritts zum
Europäischen Wirtschaftsraum EWR. "Ja, aber nicht um jeden Preis":
So lautet beispielsweise die vorläufige Stellungnahme des Schweizerischen
Gewerbeverbandes SGV an einer Pressekonferenz im Mai 1990. Der Präsident
und der Direktor, Ständerat Markus Kündig (CVP) und Pierre Triponez (FDP),
betonen, der Verband stehe dem EWR "offen" gegenüber und wäre "ohne weiteres
fähig, die neuen Herausforderungen in den Griff zu bekommen." Anderseits sei
man nicht bereit, für den Beitritt "jeden Preis" zu zahlen. Die auf Klein-
und Mittelbetriebe ausgerichtete wirtschaftliche Struktur der Schweiz dürfe
nicht aufs Spiel gesetzt werden. Auch halte das Gewerbe an den föderalistischen
Strukturen und an den Volksrechten fest. Zur genaueren "Entscheidfällung"
setze der SGV eine Arbeitsgruppe ein, welche die möglichen Szenarien prüfe.
Angestrebt wird vom SGV eine Art Freihandelszone, mit der die sogenannten vier Freiheiten
- freier Warenverkehr, freier Dienstleistungsverkehr, freier Kapitalverkehr sowie "möglichst
freier Personenverkehr" - erreicht werden sollen. Keinesfalls wolle man aber einen
binnenmarktähnlichen Zustand, mit dem auch institutionelle Fragen sowie Bereiche
wie die Sozialpolitik vereinheitlicht würden.
Genau darum - und um noch mehr - geht es heute bekanntlich mit dem institutionellen
Rahmenvertrag, mit dem uns Brüssel unter Androhung von Strafmassnahmen fremdes (EU-)
Recht sowie fremde Richter aufzwingen will!
Die EWR-Beitrittsfrage steht fortan bis zur denkwürdigen
Jahrhundert-Abstimmung vom 6.12.1992 zuoberst auf unserer politischen Traktandenliste.
Am 22. September 1990 führen wir zum Thema "Schweiz und Europa: Wie stellen wir uns?"
eine sehr gut besuchte Programmtagung durch. Nach dem Einführungsreferat von Jakob
Kellenberger, Chef des Integrationsbüros EDA/EVD, beurteilen die Nationalräte Walter
Frey, Rudolf Reichling und Christoph Blocher das Thema aus wirtschaftlicher,
landwirtschaftlicher und staatspolitischer Sicht. Fortan wird die Tatsache,
dass wir mit dem EWR einen Kolonialvertrag unterschreiben würden, der laut
Adolf Ogi nur als "Trainingslager" für den EG-Beitritt brauchbar ist, durch
immer mehr gewichtige Argumente zementiert.
Gleichzeitig geht es aber nach dem Mauerfall vom 9. November 1989 und nach dem sich
abzeichnenden Zusammenbruch des Sozialismus darum, unserer Partei auch in diesem
Bereich - zumal im Hinblick auf das wichtige Wahljahr 1991 - ein klares Profil
zu verschaffen. Denn das "süsse Gift" des Sozialismus ist trotz dem Mauerfall
nach wie vor sehr präsent: Viele staatsgläubige Politiker und Parteien bis weit
in die Mitte hinein reden dem Staatsinterventionismus das Wort. Sie wollen immer
mehr regulieren und bürokratisieren, der Staat soll den Boden verwalten und
den Wohnungsbau "lenken". Mit dem Energieartikel soll auch die Energieversorgung
verstaatlicht werden. Und in immer mehr Bereichen - Finanz- und Steuerpolitik,
Arbeitsmarktpolitik, Verkehrs- und Umweltpolitik - wollen die gleichen Kreise
mit dogmatischem Eifer planwirtschaftliche Rezepte durchsetzen.
Im Juli 1990 präsentiert deshalb die Zürcher SVP an einer Pressekonferenz mit dem
Titel "Für weniger Sozialismus - für eine konkurrenzfähige Schweiz" ihre
freiheitlichen Rezepte, die wir gemeinsam erarbeitet haben. Die Kernaussage:
Das sozialistische System hat in allen Bereichen - in der Wirtschaft, in
der Kultur, aber auch im sozialen Bereich - versagt, weil der Sozialismus
alles von oben gelenkt haben will und am Wesen des Menschen vorbei geht.
"Während im Osten Europas die Freiheit aufgeht wie die Sonne, wird sie bei uns
immer mehr aufs Spiel gesetzt!" warnt Walter Frey. Er fordert eine
Wirtschaftsverträglichkeitsprüfung für bestehende und neue Gesetze.
Rudolf Ackeret, Präsident der Programmkommission, verlangt im Bereich
Boden- und Wohnungspolitik eine Rückbesinnung auf eine verlässliche
planerische Rahmenordnung und auf den freien Markt, sowie eine bessere
Nutzung des bestehenden Baugebietes. Ueli Maurer betont, die überbordende
Reglementiererei habe beim Bürger ein Gefühl von Ohnmacht erzeugt und zu
einer verbreiteten Staatsverdrossenheit beigetragen. Seine Botschaft:
"Wir brauchen nicht mehr Sozialismus und staatliche Macht, sondern politische
Behörden, welche führen und entscheiden, statt sich hinter Vorschriften zu
verstecken. Der Versorgungsstaat und die sozialistischen Rezepte führen ins Abseits!"
Blocher schliesst mit dem denkwürdigen Satz, den sich auch alle heutigen Politiker
verinnerlichen müssten: "Die EG (EU) zeigt sich als zentralistisches, bürokratisches,
undemokratisches Gebilde. Ein solches System ist der Schweiz zutiefst wesensfremd.
Die Schweiz wird direktdemokratisch und föderalistisch sein, oder sie wird nicht sein!"
Am 20. August 1990 nimmt der Otelfinger Gemeindepräsident Ernst Schibli, Gemüsebauer und
ehemaliger Kavallerist, der für den scheidenden Kantonsrat Hans Frei (Vater des
gleichnamigen heutigen Präsidenten des Zürcher Bauernverbandes) aus Watt-Regensdorf
nachrückt, erstmals im Kantonsrat Platz. Er wird rasch zum Fraktionspräsidenten
aufsteigen und diese Funktion während etlicher Jahre erfolgreich ausüben. Schliesslich
wird er in der Zeitspanne 2001 bis 2015 als Nationalrat vor allem in den Bereichen
Landwirtschaft, Gewerbe, Wohneigentum sowie Asyl- und Ausländerpolitik einen grossen Einsatz leisten.
Ein wichtiges Thema sind ab der Jahresmitte 1990 die bevorstehenden Zürcher
Regierungs- und Kantonsratswahlen vom Frühjahr 1991. Unser hochverdienter
Regierungsrat Jakob Stucki, ein Mann mit staatsmännischem Format, gibt
bekannt, dass er nach 20-jähriger Amtszeit zurücktreten wird. Als
Finanzdirektor hat er die Staatsfinanzen ins Lot gebracht und den
Steuerzahlern mit drei Steuergesetzrevisionen namhafte Erleichterungen
verschafft. Ebenso hat sich Stucki mit dem Lastenausgleich zwischen
Kanton und Gemeinden grosse Verdienste erworben.
Schon frühzeitig nominieren verschiedene Bezirksparteien ihre Kandidaten
für die Stuckis Nachfolge. Im Bezirk Affoltern ist es der
Gemeindepräsident, Kantonsrat und Fraktionspräsident Toni Bortoluzzi,
im Bezirk Meilen der Kantonsrat und wohl einzige "studierte Beizer"
Oskar Bachmann aus Stäfa, sowie Kantonsratspräsident Ueli Maurer
aus Wernetshausen im Bezirk Hinwil.
Am 21. August 1990 findet die definitive Nomination der SVP-Regierungskandidaten
im "Albisgüetli" statt. Über 500 Delegierte und Gäste finden sich zur spannenden
"Ausmarchung" ein. Christoph Blocher betont einleitend, es müsse mit einem
klaren Programm und einem soliden bürgerlichen Schulterschluss bei den
Regierungsratswahlen alles getan werden, um einen Vormarsch der
verhängnisvollen rot-grünen Politik zu verhindern. Nach der einstimmigen
Wieder-Nomination von Hans Hofmann präsentieren sich die neuen Kandidaten,
und man schreitet zur geheimen Wahl. Ueli Maurer obsiegt im zweiten
Wahlgang mit deutlichem Mehr, und er wird in der Folge einen hervorragenden
Wahlkampf führen. Aus Gründen, die ich später erläutern werde, wird er
aber dennoch nicht Regierungsrat - im Herbst 1991 aber Nationalrat
und im Jahre 2008 bekanntlich Bundesrat.
Ueli Maurer ist ein Politiker, der seinen Konkurrenten und Gegnern
in aller Regel überlegen ist, weil er auch bei angeblich "komplexen"
Themen rasch das Wesentliche (den "Puck") sieht und die Sache für
alle verständlich auf den Punkt bringt. Ich habe als Parteisekretär
während Jahren das Glück gehabt, mit dem damaligen Bauernsekretär
Tür an Tür an der Nüschelerstrasse 35 in Zürich zu arbeiten. Sehr oft
trafen wir uns sehr früh am Morgen zu einem Kaffee und diskutierten
über aktuelle Politik. Meist fiel dann die Bemerkung: "Sag mir das
Wesentliche in einem Satz!" Und wir erreichten dabei nach dem Urteil
unserer Umgebung offenbar eine beeindruckende Fähigkeit. Daher mein
dringender Rat an viele Politiker: "Setzt euch über ein Thema genau
ins Bild. Wenn ihr euch aber eine Meinung gebildet habt, müsst ihr
das Wesentliche (eure Kernbotschaft) in einem Satz formulieren können.
Nur dann habt ihr das Thema wirklich verstanden - und nur dann
verstehen euch auch die ‚normalen' Leute."
(Fortsetzung folgt)