Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau



Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Damals in der SVP

Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant

Teil 19 meiner Erlebnisse aus 35 Jahren aktiver Politik

Gegen Ende des Jahres 1991 kommt die Debatte um die sich anbahnende "Jahrhundert-Abstimmung" zum EWR (Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum) mehr und mehr in Fahrt.

Der Bundesrat hat bei diesem zentralen Thema eine Kehrtwendung gemacht - nicht aus Einsicht, sondern aus Schwäche: Noch 1989 hatte er dem Parlament einen Bericht vorgelegt und begründet, warum die Schweiz der EG nicht beitreten könne. Und obwohl sich die Fakten nicht geändert haben (die EG ist nach wie vor zentralistisch, bürokratisch und undemokratisch) forciert nun derselbe Bundesrat den EWR-Beitritt mit der Begründung, dann müsse die Schweiz nicht der EG beitreten. Zudem verspricht die Landesregierung dem Schweizer Volk, eine Weiterentwicklung des EWR-Rechts sei selbstverständlich nur möglich "mit voller Mitbestimmung der Schweiz".

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Der EWR-Vertrag sieht jedoch das Gegenteil vor. Darum verkündet jetzt der Bundesrat, man müsse den EWR-Vertrag unterschreiben, damit die Schweiz in die EG eintreten könne. Uns allen aus der SVP und aus gleichgesinnten Kreisen ist klar: Das ist für das Schweizervolk unzumutbar.

Weil sich unser Bundesrat Adolf Ogi an vorderster Front für den EWR/EG-Beitritt stark macht, wird das Verhältnis zur Partei zunehmend schwierig. Die "Rechtfertigung", dass Ogi nicht in erster Linie seine Meinung, sondern kollegial jene des Gesamtbundesrates vertrete, ist in Anbetracht des Herzblutes, das er in dieser Frage versprüht, nicht sehr glaubhaft. Aber die Partei hat damit zu leben. Auch beim Uno-Abstimmung 1986 haben der damalige Parteipräsident Ogi und Bundesrat Leon Schlumpf von der Partei abweichende Meinungen vertreten - und die Partei hat das "verkraftet". Zudem ist Bundesrat Ogi zugute zu halten, dass er den EWR unmissverständlich und ehrlich als blosses "Trainingslager" für den EG-Beitritt deklariert und dem Volk reinen Wein einschenkt.

Es ist klar: Die SVP darf dem EWR/EG-Beitritt niemals zustimmen, sie muss ihn mit aller Kraft bekämpfen. Der EWR ist ein unwürdiger Kolonialvertrag - wir hätten immer mehr zu zahlen und immer weniger zu sagen. Und wir würden auch wirtschaftlich ins Abseits geraten, weil wir die schlechten Rahmenbedingungen der EG (u.a. 35- Stunden-Woche, Mitbestimmungsrechte, Bürokratie-Exzesse) übernehmen müssten.

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Auf den 21. März 1992 lädt die SVP des Kantons Zürich alle Interessenten zu einer Arbeitstagung unter Leitung von Rudolf Ackeret, Präsident unserer Programmkommission, zum hochaktuellen Thema "Schweiz und EWR/EG: Beurteilung aus wirtschaftlicher und landwirtschaftlicher Sicht ins Restaurant "Wartmann" nach Winterthur ein. Referenten sind die Nationalräte Walter Frey, Christoph Blocher und Rudolf Reichling, sowie der Finanz- und Bankenspezialist Prof. Dr. Kurt Schiltknecht.

Das Fazit der von über 150 Interessierten Teilnehmern besuchten Tagung lautet:

  • Der EWR- und der EG-Beitritt können nicht mehr getrennt, sondern müssen als Einheit beurteilt werden, weil der EWR-Vertrag laut Bundesrat nur als Übergangsstufe zu einem EG-Beitritt in Frage kommt.
  • Unabhängig von einem EWR/EG-Vertrag braucht die Schweiz dringend einen Deregulierungs- und Entbürokratisierungsschub und einen Abbau unsinniger technischer Sondernormen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
  • Ein allfälliger EWR-Vertrag ist nach heutigem Stand der Dinge zu beurteilen - und nicht nach einer möglichen künftigen Entwicklung der EG.
  • Die Meinung, die Schweiz könne die EG-Strukturen durch einen Beitritt von "innen" verbessern, ist reine Utopie.
  • Schiltknecht betont, dass auch unser Banken-, Währungs- und Zinsbereich bei einem EWR-/EG-Beitritt gravierende Folgen in Kauf nehmen müsse. Mit der zunehmenden Tendenz, den Franken an "Europa" anzubinden, würden ausländische Konjunkturschwankungen auch auf die Schweiz übertragen. Vollends krisenhafte Folgen hätte laut Schiltknecht die Preisgabe des Schweizer Frankens zugunsten des (damaligen) Ecu. Wir würden in den Sog ausländischer Defizitwirtschaft und inflationärer Strömungen geraten, und es würden Arbeitsplätze vernichtet.

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    Der Rahmenvertrag Schweiz-EU, neuerdings Institutionelles Abkommen (InstA) genannt, der seit kurzem vorliegt, geht bekanntlich noch weiter als der EWR. Mit der automatischen Rechtsübernahme in allen Bereichen, die den Binnenmarkt betreffen, und der Unterwerfung unter den Europäischen Gerichtshof würden unsere direkte Demokratie und der bilaterale Weg definitiv zerstört.

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    Am 20. Mai 1992 ersucht der Bundesrat (nach einem 4:3 Entscheid dank Adolf Ogi) Brüssel offiziell um Beitrittsverhandlungen für die EG. Damit ist die Sache glasklar: Die "Schweizer Reise" soll nach dem "Trainingslager" EWR direkt in die EG gehen. Der Bundesrat behauptet einmal mehr, ein EWR- und ein EG-Beitritt hätten nichts miteinander zu tun. Die Schweiz übernehme zwar mit dem EWR rund zwei Drittel des EG-Rechts, sie wäre aber nicht gezwungen, die politischen Ziele der EG und ihre Landwirtschaftspolitik zu übernehmen und eine Zollunion einzugehen.

    Der bundesrätliche Zeitplan sieht wie folgt aus: In einer Sondersession im Frühherbst befasst sich das Bundesparlament mit dem EWR-Dossier. Der Bundesrat hält am Ziel fest, die Volksabstimmung bereits am 6. Dezember durchzuführen und den Vertrag auf den 1. Januar 1993 in Kraft setzen. Fast alle Parteien und Wirtschaftsverbände, die politische "Elite", intellektuelle Kreise, Kulturschaffende Diplomaten, sowie praktisch die gesamte Medienwelt sind unisono auf EWR-Beitrittskurs.

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    Weil auch in der damaligen SVP neben Adolf Ogi etliche weitere Exponenten wie Ständerat Zimmerli oder Nationalrat Rychen für den EWR sind, ist es an der Zeit, die SVP Schweiz "auf Kurs" zu bringen und die Reihen innerhalb der SVP zu schliessen. Und die Strategie Christoph Blochers geht auf: Um frühzeitig eine klare Ausgangslage zu schaffen, findet am 3. Juli 1992 eine denkwürdige Delegiertenversammlung im "Albisgüetli" statt zum Thema "Soll die Schweiz dem EWR beitreten?"

    Der Pro-Referent, Prof. Dr. Franz Blankart, Staatssekretär und Direktor des Bundesamtes für Aussenwirtschaft, hat mit seinen diplomatisch geschliffenen, wohltönenden Beschwörungen pro EWR gegen die harten Fakten von Contra-Referent Christoph Blocher einen schweren Stand. "Aus politischer Sicht", so Blocher, "ist es unbestreitbar, dass der Schweiz mit dem EWR/EG-Beitritt fremdes Recht und fremde Richter aufgebürdet werden." Die zwingende Übernahme von 80 Prozent des bestehenden EG-Rechts und des ganzen (noch unbekannten) künftigen EG-Rechts könne unserem Volk nicht zugemutet werden. "Die Kompetenzen werden vom Volk auf die hohen Beamten und auf die "classe politique" verschoben. Die Zeche zahlt das Volk!" Zudem, so Blocher, schalte der bürokratische Koloss EG den Wettbewerb aus. Kleine Staaten seien wirtschaftlich effizienter.

    Nach engagierter Debatte ist das Verdikt klar: Der EWR- Beitritt wird mit 435:14 Stimmen wuchtig bachab geschickt. Nach diesem übermächtigen Signal aus Zürich ist die Fahrtrichtung für d ie SVP Schweiz unmissverständlich vorgegeben.

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    Nach der Sommerpause tritt auch der legendäre Otto Fischer, ehemaliger FDP-Nationalrat und Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes - und aktuell Auns-Geschäftsführer - im gleichen "Albisgüetli" wortgewaltig vor dem Zürcher Gewerbeverband zum Thema EWR auf. Nach seiner Einleitung: "Ich bin nicht gekommen, um Harmonium zu spielen, sondern um Ihnen die Wahrheit sagen zum EWR-Beitritt" hat er bereits gewonnen. Er zerpflückt den Vertrag - der keine Chance hat - meisterhaft Stück um Stück.

    Bis zum 6. Dezember werden nun vor allem Blocher und Otto Fischer praktisch jeden Tag im ganzen Land - bis an den Rand der Erschöpfung - auftreten und den Leuten darlegen, warum der EWR unbedingt abgelehnt werden muss. Eine unglaubliche Leistung, die - Gott sei Dank - schliesslich zum Erfolg führt.

    (Fortsetzung folgt)

    Hans Fehr