Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau



Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Damals in der SVP

Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant

Teil 29 meiner Erlebnisse aus 35 Jahren aktiver Politik

Weil sich diese Aufteilung 1991 bewährt hat, beschliessen die Parteigremien auch bei den Nationalratswahlen 1995 wiederum mit zwei Listen ("West" und "Ost") in den Kampf zu ziehen. Die Liste "West" mit dem Spitzenkandidaten Walter Frey umfasst die Bezirke Bülach, Dielsdorf, Zürich (inkl. Zollikon und Küsnacht), Dietikon, Horgen und Affoltern. Zur Liste "Ost", angeführt von Christoph Blocher, gehören die Bezirke Andelfingen, Winterthur, Pfäffikon, Uster, Hinwil und Meilen (reduziert). Die Werbung für zwei Listen kostet natürlich wesentlich mehr, bietet aber den Vorteil, dass das doppelte Stimmenpotenzial von 68 (statt 34) Kandidatinnen und Kandidaten ausgeschöpft werden kann. Weil Christoph Blocher als enormer "Stimmenmagnet" wirkt, besteht die "Gefahr", dass viele Wähler zum vornherein die Liste "Ost" nehmen, um ihn zu unterstützen. Dadurch droht die Liste "West" trotz des grossen Bekanntheitsgrades von Walter Frey "unterzugehen".

Darum muss den Leuten das Wahlprozedere genau erklärt werden. Bei jeder Gelegenheit machen wir bekannt: Wer im "Westgebiet" wohnt, soll konsequent die Liste "West" nehmen - und die "Ossis" ebenso konsequent die Liste "Ost". Blocher, und andere Ost-Kandidaten, können Sie auch auf die Westliste hinüberschreiben (panaschieren) - und umgekehrt! Eigentlich ganz einfach!

Dennoch kommt diese Botschaft nicht überall an - und ich bin beinahe der Leitragende und greife darum zeitlich etwas vor: Am sehr späten Abend des Wahlsonntags steht fest: Ich bin auf der Westliste gewählt - aber wegen Christoph Blochers Magnetwirkung sind die beiden Neugewählten sehr wahrscheinlich auf der Ostliste (definitiv gewählt ist Ulrich Schlüer). So fahre ich denn nach Mitternacht nach Hause und denke: "Ja nu so dänn, höhere Gewalt, es hat nicht sollen sein."

Am andern Morgen komme ich um Viertel nach sechs ins Büro an der Nüschelerstrasse 35 - und schon im Gang ruft eine Stimme: "Guete Morge, Herr Nationalrat!" Es ist mein Stellvertreter Ernst Hauser, ein ausgezeichneter Mann, damals Gemeindepräsident in Turbenthal. "Mach kein Witz!" entgegne ich. "Doch", entgegnet er, "soeben ist das am Radio bestätigt worden." Grosse Überraschung und Freude meinerseits.

Später, die Sitzung des Kantonsrates hat soeben begonnen, kursiert das Gerücht, die "Sache" mit dem Sitzgewinn West sei noch nicht sicher. Es könne sein, dass dieser Sitz doch noch in den "Osten" abwandern könne. Lange Minuten und Viertelstunden verstreichen - bis das Radio verkündet, der Sitzgewinn West (also mein Sitz) sei definitiv.

Später sagte mir meine Frau, sie habe am Morgen "Radio Z" gehört und die Meldung mitbekommen, die Sache mit dem Sitz sei noch unsicher, es folge jetzt noch etwas Musik, nachher wisse man mehr. "Derart quälend lange musikalische Minuten habe ich noch nie erlebt", bekannte sie - bis endlich die Musik fertig war und die "Erlösung" kam.

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Zurück zum Wahljahr: Im Vorfeld der Nationalratswahlen hat einmal mehr das Thema "Schweiz-EU" dominiert. Christoph Blocher und seine Mitstreiter bringen das (bis auf den heutigen Tag zentrale) Thema der Selbstbestimmung und der direkten Demokratie immer wieder auf den Punkt: "Das Volk verliert - die Classe politique profitiert!" Gerade weil die Mängel der Brüsseler Fehlkonstruktion (schon damals) immer offensichtlicher werden, wird der Zustand der EU in den Schweizer Medien, im Parlament und in den parlamentarischen Kommissionen ununterbrochen als "gut" schöngeredet.

Und jene Schweizer Unternehmen, die es nicht schafften, gute Resultate zu erzielen, können so immer zwei salonfähige "Begründungen " vorbringen: Fehlender EWR und hoher Frankenkurs. Wer deswegen den Betrieb schliesst, wird im Fernsehen und in einem Teil der Medien geradezu wie ein Held gefeiert.

Die ehemalige Nationalratspräsidentin Gret Haller (SP/BE) hat Österreich 1994 einen offiziellen "Staatsbesuch" abgestattet und dabei geäussert, die Schweiz befinde sich in einer "existenziell schwierigen Situation". Es bestehe die Tendenz, wirtschaftlich abhängig zu werden. Damalige Zeitungsberichte zeigen eine andere Realität: "Die Schweiz, das reichste Land der Welt / Die Schweiz mit dem höchsten Durchschnittseinkommen / Umfrage in Europa: In welchem Land möchten sie am liebsten wohnen und arbeiten? Über 60 Prozent antworten: In der Schweiz! / Kein Innovationsdefizit der Schweizer Industrie".

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Immer wieder warnen die SVP-Politiker (leider nur wenige aus der FDP und der CVP) in jenem denkwürdigen Wahljahr vor den schwerwiegenden Nachteilen eines EWR/EU-Beitritts: Abbau der Selbstbestimmung und der direkten Demokratie, zunehmende Gesetzesflut, mehr Bürokratie, höhere Steuern, höhere Sozialkosten, Lohndruck, mehr Arbeitslose, mehr Überfremdung, mehr Kriminalität, Abschaffung des Schweizer Frankens, Preisgabe der eigenen Aussenpolitik.
Mit einer breiten Kampagne gegen "linke und andere heimatmüde Parteien" und entsprechenden Illustrationen setzen wir das Kernthema für die eidgenössischen Wahlen 1995 und zwingen damit auch die andern Parteien, Farbe zu bekennen.

(Fortsetzung folgt)

Hans Fehr