Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau



Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Damals in der SVP

Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant

Teil 52 meiner Erlebnisse aus 35 Jahren aktiver Politik

Für einmal etwas Unpolitisches: Am Sonntag, dem 16. November 1997, nehme ich zum dritten Mal am „Frauenfelder“ (Waffenlauf) teil.  Wegen der Marathonstrecke von 42,2 Kilometern wird der traditionsreiche Lauf unter Kennern als „König“ der Waffenläufe  bezeichnet, und er hat es tatsächlich in sich. Ich habe damals zwar schon etliche Waffenläufe absolviert – u.a. mehrmals den St. Galler, den Thuner, den Toggenburger (Lichtensteiger) und den Wiedlisbacher, sowie sieben „Hunderter“ in Biel. Denn ich bin der Überzeugung, dass sich Durchstehvermögen und Willensstärke auch in der Politik positiv auswirken.

Aber diesmal bin ich wegen zu wenig Training nur „suboptimal“ (wie es ein Edel-Freisinniger ausdrücken würde) vorbereitet, und das wird sich rächen. Im Vorjahr hat mich Ueli Maurer relativ leichtfüssig überholt und mir mehrere Minuten „abgenommen“, diesmal ist aber wenigstens diese Gefahr gebannt, denn Maurer kann nicht teilnehmen.

Damals sind die Waffenläufe noch ein Renner mit sehr vielen Teilnehmern, und am Frauenfelder 1997 nehmen immerhin rund 600 Läufer und einige Läuferinnen teil. Bei der alten Stadtkaserne haben sich neben hohen Militärs viele Gäste eingefunden, so u.a. der Thurgauer Ständerat Hans Uhlmann, Regierungspräsident Roland Eberle und Nationalrat Otto Hess. Als besondere Überraschung ist auch EMD-Chef Adolf Ogi mit von der Partie. Er richtet in seinem unverfälschten „Oberlender“ Dialekt einige träfe Worte an die Wettkämpfer und erntet Applaus.

Nachdem sich die ganze Gesellschaft wie in Frauenfeld üblich auf den Marktplatz verschoben hat, fällt dort punkt 10 Uhr das Startzeichen mit einem Kanonenschuss. Es kommt Bewegung in die Reihen, und alle sind froh, dass es nun losgeht. Die 7,5 kg schwere Packung mit Rucksack und Gewehr trägt sich am Anfang noch ganz bequem. Beim Aufstieg zum Spital wird man von der Masse der Läufer förmlich mitgerissen, angefeuert von einer dichten Menschmenge mit Rufen wie „Mach’s guet, Fritz!“ oder „z’Wängi git’s dänn es Bier“ und dergleichen.

Nachdem im Altholz ob Frauenfeld die beiden ekelhaften „Kamelrücken“ hinter uns liegen, folgt die lange Gerade nach Matzingen, und dann gilt es die giftige Steigung zum Sonnenhof zu bezwingen. Immer noch guten Mutes schaffe ich relativ zügig die 10 km-Marke bei Wängi und kämpfe mich dann mit vielen Leidensgenossen die Steigung bei „Holzmannshaus“ hinauf. Der Schweiss strömt trotz kühler Witterung. Beim Bahnhof Sirnach (Kilometer 16) sind die Geleise auf einer steilen Treppe zu überqueren, die stark in die Knie schlägt. Vom Restaurant Kreustrasse geht es dann weiter Richtung Wil, wo ich kurz vor der Autobahnbrücke in die erste Krise hineinlaufe. Die Beine wollen nicht mehr. Wohl oder übel muss ich einige hundert Meter Fussmarsch einschalten.

Die Beschwerden dauern an bis in die Wiler Altststadt, wo ich die halbe Strecke bewältigt habe. Am Verpflegungsstand verzehren einige Helferinnen herrliche St. Galler Bratwürste. „Genau das brauche ich jetzt“, fährt es mir durch den Kopf. Kurz entschlossen kaufe ich einer Dame die halbe Bratwurst ab und verzehre sie gut getarnt in einer Fensterbrüstung.

Nach der kräfteraubenden Steigung beim Wiler Stadtweiher bekomme ich von einer guten Seele einen Becher Coca-Cola und aufmunternde Worte. In aufgeräumter Stimmung passiere ich die 25 km-Marke und habe dann die lange Strecke Richtung St. Margarethen vor mir. Ich fühle mich wieder hervorragend, passiere Lommis im berühmten Lauchetal (früher der klassische Raum für mechanisierte Gegenschläge gegen den roten Gegner). Da plötzlich habe ich zu meinem Schrecken den alten Läufer-Konkurrenten Peter Hauser aus Bülach hinter mir. Er bestreitet heute seinen 30. Frauenfelder und kommt mir mit lächelndem Gesicht bedrohlich näher. Gleichzeitig, kurz nach Kilometer 30, fängt meine nächste Krise an. Ausgerechnet jetzt kommt der giftige Aufstieg nach Kalthäusern/Weingarten, und Peter Hauser zieht unaufhaltsam an mir vorbei. „Das ist unkameradschaftlich“, rufe ich hintennach. „Dem Alter gebührt der Vortritt“, gibt er zurück.

Ab Kilometer 32, obwohl immer wieder angefeuert von Zuschauern, ist bei mir die „Luft“ weitgehend draussen. Mein suboptimales Training fordert seinen Tribut. Laufschrittphasen sind nur noch möglich, wenn es der Herrgott gut gemeint hat und der Weg leicht abwärts geht. Ansonsten kann ich für die letzten Kilometer nur noch auf meinen Willen zählen. Mein Bewegungsapparat möchte nicht mehr. Zurufe wie „Das isch doch de Fehr, los, Forza!“ etc. sorgen immerhin dafür, dass ich noch einmal auf die Zähne beisse. Mein ehemaliger Bataillonskommandant Walter Bischofberger aus Winterthur hat recht: „Wer nicht trainiert ist, muss leiden!“

Endlich komme ich wieder ins Altholz ob Frauenfeld und erreiche bei Kilometer 40 den Stadtrand. Gott sei Dank geht es nun mehrheitlich bergab. Im Gebiet Mätteli höre ich bereits den Ziel-Lautsprecher und die Begleit-Blasmusik. Und selbstverständlich zwinge ich mich auf den letzten 150 Metern mit letzter Willenskraft (wie jeweils beim „Bieler“) noch zu einem Spurt.   

Zehn Minuten später, unter der herrlichen Dusche, ist – ausser dem Muskelkater, der mich noch begleiten wird – fast alle Unbill vergessen. Aber ich schwöre mir: Ab jetzt wird regelmässig trainiert! Und das habe ich dann einigermassen auch so gehalten. Immer wieder kommt mir der Ausspruch von alt Bundesrat Rudolf Gnägi in den Sinn: „Politik ist eine beharrliche Dauerleistung!“ Das gilt natürlich auch für Landstreckenläufe und den Ausdauersport und insbesondere für Waffenläufe, die leider – mit Ausnahme des Frauenfelders – fast verschwunden sind.

*

Zum Dessert noch den Vers „Undergrund“ aus dem Ende 1997 erschienen Buch „Schtazione“ des begnadeten Weinländer Bauerndichters Willy Peter:

Vil Lüüt begryffed s äifach nie,
stönd locker gnueg is Läbe ie.
Ob Rüeblichruut, ob Chabisstuurze:
All Pflanze bruched öppis: Wuurzle!
De Mäntsch meint, eer chöm ohni us –
Jez lueg s doch emal aa, sis Huus:

Die Gsellschaft isch doch nüme zwääg.
Scho lang gheit de Verbutz ewääg.
Vil Schlächts chrüücht, ooni das me s kännt,
is Häärz ie, schprängt deet
s Fundamänt.
Mir sälber chönnt s schier nid
verstaa:
Mir händ doch zwenig Wuurzle ghaa!

(Fortsetzung folgt)



Hans Fehr