Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau



Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Damals in der SVP

Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant

Teil 4 meiner Erlebnisse aus 35 Jahren aktiver Politik

Die Zeiten ändern sich: An der Jahreswende 1985/86 sind nicht weniger als 11 von 37 eidgenössischen Parlamentariern aus dem Kanton Zürich Oberst oder Oberstleutnant. Auch wenn vielleicht nicht alle dieser hohen Offiziere "Kirchenlichter" sind, so bringen sie doch einigen Sachverstand, insbesondere auch über militärische und sicherheitspolitische Fragen, nach Bundesbern und in die Sicherheitspolitischen Kommissionen beider Räte. Zum Vergleich: Heute stellt die 35-köpfige Zürcher Deputation in Bern noch ganze zwei hohe Offiziere. Und in den Sicherheitspolitischen Kommissionen haben die meisten Mitglieder keine Ahnung vom Militär. Umso mehr schwatzen sie "faktenresistent" drauflos.

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Am 24. Januar 1986 laden wir erstmals zu einem "Parteitag für alle Mitglieder und Freunde der SVP" ins Zürcher "Albisgüetli" ein. Es ist der Vorläufer für die berühmte "Albisgüetlitagung", die dann ab 1989 mit einer schweizweiten Ausstrahlung zum Anlass der Extra-Klasse wird. Christoph Blocher stellt fortan (heuer zum 30. Mal) am Jahresanfang die politischen Weichen, und ein Mitglied des Bundesrates hat unwidersprochen "das letzte Wort". Ein Anlass von hoher politischer Kultur.

Gut Ding will Weile haben. 1986 folgt nach der Begrüssung durch den Parteipräsidenten und nach der Abnahme des Voranschlags 1986 das zentrale Referat von Regierungs- und Ständerat Jakob Stucki zum Thema "Gedanken zum neuen Jahr". Dann geniesst die "SVP-Familie" ein reichhaltiges Bauernbuffet und tanzt schliesslich zu den Klängen der "Bächer Buebe". Insgesamt eine eher "nette" Vorspeise zu den nachfolgenden kraftvollen "Albisgüetli-Tagungen", an denen Christoph Blocher stets ein würziges, kraftvolles politisches Menu mit Überraschungen serviert, um das kein Journalist herumkommt.

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Es ist uns klar: Wir müssen unsere liberal-konservative Politik zugunsten des Mittelstandes - also für jene Leute, die in Freiheit und Sicherheit leben wollen und jeden Tag arbeiten, um den Lebensunterhalt für ihre Familien zu verdienen - bestmöglich bekannt machen. Dies mit einem dichten Netz von kleinen und "mittleren" Veranstaltungen in den Sektionen und Bezirken, wo wir auf "Tuchfühlung" mit den Leuten gehen und wo sie ihre Anliegen und Fragen direkt anbringen können. Dazu kommen Stand- und Strassenaktionen - und mehr und mehr auch Grossanlässe wie die erwähnte "Albisgüetlitagung" und andere.

Besonders eindrücklich in Erinnerung geblieben ist mir - ich greife jetzt zeitlich etwas vor - die Grossveranstaltung "Umbruch in Europa" im Februar 1990 im "Zürihorn" (heute "Lakeside"). Nach dem Mauerfall vom 9. November 1989 und dem sich abzeichnenden Zusammenbruch des Sozialismus wollen wir die Leute aus erster Hand informieren und ihnen in einer Phase der Illusionen und der Friedenseuphorie die Lebenswirklichkeit in Erinnerung rufen. Als Referenten kann ich schliesslich ..., Heiner Geissler, den legendären CDU-Generalsekretär, sowie Wolfgang Berghofer, den SED-Bürgermeister von Dresden, gewinnen. Vor allem bis die Teilnahme von Berghofer klappt, läuft ein wahrer Krimi ab. Nachdem ich seinen persönlichen Mitarbeiter mit etlichen Telefonanrufen (die Anlage stammt aus dem Jahre 1928) und mit Unterstützung des späteren Bündner Regierungsrates … Trachsel, der ihn von der Zusammenarbeit beim internationalen Bobverband kennt, von der Teilnahme überzeugt habe, scheint alles in Butter. Aber nach zwei Wochen meldet mir der persönliche Mitarbeiter völlig überraschend, dass Berghofer eine Teilnahme trotz anfänglicher Zusage leider unmöglich sei.

Was nun? Ich beharre darauf, Berghofer persönlich zu sprechen. Das sei unmöglich, er sei in Norddeutschland, sagt der persönliche Mitarbeiter. "Und wo ist er nachher?" beharre ich. "Dann ist er drei Tage am WEF in Davos". "Ausgezeichnet, dann werde ich ihn in Davos aufsuchen", erwidere ich. Er gibt mir das Hotel an und - nach weiteren Hindernissen - treffe ich Berghofer schliesslich beim Frühstück in Davos. Und tatsächlich sagt er mir nun zu. Hochbeglückt gehe ich von dannen, die Sache scheint endgültig geritzt.

Aber der Krimi ist noch nicht zu Ende. Nach einigen Tagen bekomme ich vom persönlichen Mitarbeiter nochmals eine Hiobsbotschaft; es tue ihm ausserordentlich leid, aber Berghofer müsse nun leider doch aus zwingenden Gründen absagen.

Ich sage ihm, das sei unmöglich, der Grossanlass sei bereits grossflächig in den Medien publiziert (was allerdings noch nicht der Fall ist). Nun folgt mein letztes Angebot: Ich verspreche dem persönlichen Mitarbeiter, der immer wieder von der Schweiz geschwärmt hat, samt Frau und Kind eine Woche Gratisferien am Bodensee, falls er Berghofer überzeugen könne. Und siehe da. Nach zwei Tagen kommt die Botschaft, Berghofer habe umdisponiert und werde kommen.

Der "Umbruch in Europa" wird zu einem grossen Erfolg. Heiner Geissler kommt zwar erst im allerletzten Moment aufreizend gemütlich mit dem Auto angefahren und spannt uns damit auf die Folter. Berghofer beginnt sein hochspannendes Referat mit dem Bekenntnis: "Meine Damen und Herren, ich muss zuerst einen persönlichen Scherbenhaufen aus SED-Zeiten wegräumen. Man hat uns bei den Pionieren und auf der Parteihochschule eingetrichtert, wir hätten es im Arbeiter- und Bauernparadies gut. Im Westen müssten viele Arbeiter in Erdhöhlen leben." Im Jahr 1964 sei er dann als Linientreuer zum ersten Mal in den Westen nach Essen im Ruhrgebiet gekommen. "Und ich sah eine blühende Stadt!"

Im Sommer löse ich mein Versprechen ein, und der ehemalige persönliche Mitarbeiter Berghofers kommt samt Familie nach Steckborn an den Bodensee. SVP-Ständerat Hans Uhlmann hat mir auf Anfrage den "Frohsinn" seines Schwagers empfohlen. Bei einem hervorragenden Fischessen feiern wir den gelungenen "Deal". Ende gut, alles gut.

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Am 16. März 1986 stimmt das Schweizervolk über den Uno-Beitritt ab. An einer denkwürdigen Versammlung am 8. Februar in Langenthal unter Leitung von Parteipräsident Adolf Ogi schicken die Delegierten der SVP Schweiz dieses Ansinnen wuchtig bachab. Die Nationalräte Christoph Blocher und Fritz Hofmann bekämpfen den Beitritt mit dem Argument: "Mit dem Beitritt verkaufen wir die mehrhundertjährige Maxime unserer Sicherheitspolitik, unserer Neutralität. Die vom Bundesrat beabsichtigte Neutralitätserklärung nützt nichts; mit der Unterzeichnung der Uno-Charta müssen wir auch die Sanktionsverpflichtung einhalten." Die Beitritts-Befürworter, die Nationalräte Hans Rudolf Nebiker und Peter Sager, finden mit ihrer Behauptung, unsere Neutralität werde durch die Uno "in keiner Weise tangiert", kein Gehör. Auf offene Ohren stösst hingegen Blochers Attacke gegen das Vetorecht im Sicherheitsrat, das auf ein "Diktat der Grossmächte" hinauslaufe. Nach intensiver Diskussion wird der Uno-Beitritt mit 168:39 Stimmen wuchtig abgelehnt. Die Delegierten der SVP des Kantons Zürich verwerfen den Beitritt noch deutlicher, nämlich mit 228 gegen 14 Stimmen.

Vor allem Christoph Blocher und FDP-Nationalrat und Gewerbeverbandsdirektor Otto Fischer bekämpfen den Uno-Beitritt mit grösstem Einsatz und mit aller Kraft. Nach einer denkwürdigen Abstimmungsschlacht wird der Beitritt mit einem Volksmehr von 75,7 Prozent und von sämtlichen Ständen abgelehnt. (Leider verläuft die zweite Abstimmung vom 3. März 2002 "positiv": 54,6 Prozent und 12 gegen 11 Kantone stimmen dem Beitritt zu. Und unsere politische "Elite" in Bern drängt bereits nach einer Mitgliedschaft im Uno-Sicherheitsrat. Eine unglaubliche Dummheit. Denn wir müssten in diesem Gremium letztlich über Krieg und Frieden mitentscheiden - und damit unsere Neutralität definitiv preisgeben.

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Neben aller Politik kommt auch die Kultur nicht zu kurz. Im Rahmen der parteiinternen Kulturkommission führen wir einen Zyklus von Veranstaltungen über bekannte Zürcher Dichter und Schriftsteller unter dem Namen "Kultur für öises Volk" durch. Wir starten am Sonntag, dem 14. September 1986, mit "Jakob Bosshart - sein Leben, sein Werk". Über 300 Interessierte versammeln sich in Stürzikon bei Brütten beim Geburtshaus des Dichters (1862-1924). Schauspieler tragen Gedichte und Erzählungen Bossharts vor, und der bekannte Bauernpfarrer Oswald Studer würdigt den Dichter und sein Werk und würzt das Ganze mit allerlei Reminiszenzen. Anschliessend folgt ein kleiner bäuerlicher Imbiss.

Der Erfolg der ersten Veranstaltung "Kultur für öises Volk" beflügelt uns, weitere bedeutende Zürcher Dichter auf diese Art bekannt zu machen und in Erinnerung zu rufen - so beispielsweise Conrad Ferdinand Meyer, Jakob Stutz, Johanna Spyri, Silja Walter.
(Fortsetzung folgt)

Hans Fehr