Als überzeugter
Befürworter der schweizerischen Landesverteidigung mit immerhin gegen
1400 Diensttagen befinde ich mich in einem Dilemma. Ich will eine moderne
schweizerische Verteidigungsarmee, eine Milizarmee, die ihren Kernauftrag
gemäss Bundesverfassung, Artikel 58, ohne Wenn und Aber erfüllen
kann: "Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei
zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung."
Nur die Erfüllung dieses Kernauftrags rechtfertigt die Schweizer
Armee.
Die
Armee XXI verlässt das Prinzip der autonomen Verteidigung. Sie ist
ein Verstoss gegen die schweizerische Neutralität. Sie bringt eine
Annäherung an die NATO sowie eine Schwächung der Milizarmee.
Ich muss nein sagen
zu dieser Armee XXI, weil ich die Verantwortung für dieses falsche
Konzept nicht tragen kann.
Die schweizerische
Milizarmee auf dem Boden der immerwährenden, bewaffneten Neutralität
war bisher etwas Einzigartiges. Sie war eine reine Verteidigungs-
und Widerstandsarmee mit einem im Grund zutiefst pazifistischen, antimilitaristischen
Kern. Wir hatten eine Armee ausschliesslich im eigenen Land und für
das eigene Land zur glaubwürdigen Durchsetzung unserer bewaffneten
Neutralität. Der Rückhalt der Armee im Volk
war ausserordentlich gross. Auch im Ausland zollte man unserer Milizarmee
hohen Respekt.
Wesentliche
Schwächen in der Ausgestaltung der Armee XXI
1.
Reissbrett-Armee ohne echte Alternativen
Die Armee XXI ist ohne Milizvertreter, ausschliesslich von Schreibtisch-Planern,
von Berufsoffizieren des VBS, auf dem Reissbrett entstanden. Sie haben
die einstige Verteidigungs- und Milizarmee systematisch auf NATO-Normierung
und auf NATO-Strukturen, quasi zum NATO-Klon, umgebaut. Echte Alternativen
zum hochgejubelten (aber hohlen) Schlagwort "Sicherheit durch Kooperation"
wurden nicht zugelassen. Bundesrat Ogi hat Maulkörbe an Kritiker
verteilt. Statt die Armee aufgrund der wahrscheinlichsten Bedrohungsszenarien
und aufgrund des Kernauftrags zu konzipieren, ist man umgekehrt vorgegangen:
Die Armee XXI wurde einseitig auf ein vorgefasstes und überholtes
Konzept hin ausgerichtet.
2.
Zweiklassenarmee
Das System der Durchdiener und der Zeitsoldaten (die problemloser im Ausland
eingesetzt werden können) läuft auf eine Zweiklassenarmee und
in der Tendenz auf eine Berufsarmee hinaus. Durchdiener und Zeitsoldaten
werden die "attraktiven, schlagzeilenträchtigen" Aufträge
und das beste Material bekommen; den "normalen" Angehörigen
der Armee verbleibt der unspektakuläre Rest.
3.
Milizsystem geschwächt
In der Armee XXI soll die Ausbildung professionalisiert werden. Dazu braucht
es zusätzlich Hunderte von professionellen Instruktoren. Der Anteil
an Milizkadern wird reduziert; so genannte Lehrverbände werden ohne
Milizeinfluss ausbilden. Entgegen den Behauptungen des VBS werden Milizoffiziere
bald kaum mehr Bataillone führen, weil zusätzliche Instruktoren
berücksichtigt werden müssen. Das Prinzip, wonach eine Milizarmee
durch Milizoffiziere geführt wird, wird verletzt.
Zudem wird der bewährte Miliz-Grundsatz "Lehrlinge bilden Lehrlinge
aus" aufgebrochen durch die Tatsache, dass künftige Offiziere
die RS bereits nach sieben Wochen verlassen und sich nicht als Unteroffiziere
bewährt haben müssen.
4.
Kostenexplosion zulasten der Rüstungsinvestitionen
Die zusätzlichen professionellen Instruktoren, die Durchdiener und
Zeitsoldaten (und die damit verbundene Tendenz zur Berufsarmee) werden
die Betriebskosten nach oben treiben. Weil die finanziellen Mittel für
die Armee limitiert sind und künftig noch weiter reduziert werden
dürften, wird sich dies zulasten der Rüstungsinvestitionen auswirken.
In jenen Ländern, wo man zu Berufsarmeen übergegangen ist oder
diese Richtung eingeschlagen hat (Beispiel Belgien), sind die Betriebskosten
zulasten der Rüstungsinvestitionen explodiert.
5.
Armee-Module, überdimensionierte Verbände
Armee-Module (anstelle von gewachsenen, zusammengeschweissten Truppenkörpern
mit Korpsgeist), die man beliebig zusammensetzen kann, haben sich im Kriegs-
und Ernstfalleinsatz nicht bewährt. Zudem werden mit der Armee XXI
überdimensionierte Bataillone mit 1200-1400 Mann und 7-8 direkt unterstellten
Kompanien geschaffen - Verbände, die kaum mehr zu führen sind.
6.
Mangelnder Rückhalt im Volk
Wehrmänner, die mit weniger als 30 Jahren die ganze Wehrpflicht geleistet
haben, werden mit 27-28 Jahren sogleich den ganzen "Karsumpel"
hinschmeissen und sich fortan in der Regel keinen Deut mehr um die Armee,
um ausserdienstliche Tätigkeiten und um das Schiesswesen kümmern.
(Dieser Tendenz wird Vorschub geleistet durch parlamentarische Vorstösse
wie das Postulat vom 11.6.2002 von FDP-Ständerätin Michèle
Berger, mitunterzeichnet von Erika Forster-Vanini, Christiane Langenberger
und Helen Leumann (alle FDP), welches verlangt, dass "Kriegsmunition
nicht mehr zu Hause aufbewahrt wird.")
Viele Kinder werden
ihren Vater nie mehr als Soldat zu Gesicht bekommen, was die Entfremdung
gegenüber der Armee zusätzlich verstärkt.
7.
Alarmformationen und Territorial-Infanterie abgeschafft
Im weiteren werden ausgerechnet die Alarmformationen mit hervorragender
Ortskenntnis (Flughafenregiment, -bataillone) abgeschafft. Die Territorial-Infanterie,die
sich besonders für den Schutz lebenswichtiger Objekte oder für
die Verstärkung des Grenzwachtkorps eignet und ihren Einsatzraum
hervorragend kennt, wird ebenfalls abgeschafft, und die Rettungstruppen
werden stark dezimiert. Festungswerke und Bunkeranlagen werden voreilig
und in grosser Zahl aufgegeben und zum Teil für "zivile Nutzungen"
verhökert.
8.
Wehrgerechtigkeit in Frage gestellt
Im weiteren wird die Wehrgerechtigkeit in Frage gestellt durch die Tatsache,
dass fortan ein Teil der Dienstpflichtigen bereits bei der Aushebung für
den Bevölkerungsschutz "abgezweigt" wird und nie Militärdienst
zu leisten hat.
Nur
mit einem Nein zur Armee XXI am 18. Mai 2003 zwingen wir das VBS und den
Bundesrat, eine taugliche Reform für eine moderne Schweizer Armee
vorzulegen, welche den Verfassungsauftrag erfüllt, die schweizerische
Neutralität respektiert, sich von NATO-Anschlusszwängen befreit
und insbesondere dem schweizerischen Milizsystem gerecht wird.
von Nationalrat Hans Fehr, Geschäftsführer AUNS,
Eglisau
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