Hans Fehr, Salomon Landolt-Weg 34, 8193 Eglisau



Hans Fehr | Nationalrat von 1995-2015



Damals in der SVP

Von Hans Fehr, Nationalrat von 1995-2015, in dieser Eigenschaft Mitglied der Staatspolitischen sowie der Sicherheitspolitischen Kommission, Oberstleutnant

Teil 45 meiner Erlebnisse aus 35 Jahren aktiver Politik

Nach dem Bibelwort „Schweigen hat seine Zeit, und Reden hat seine Zeit“ (aus Prediger 3, 1-11) bricht Christoph Blocher am 1. März 1997 sein monatelanges Schweigen. Er kontert die Angriffe von Seiten des Jüdischen Weltkongresses, linker Politiker und Historiker, Kulturschaffender und weiterer Kreise gegen die angeblich Hitler-willfährige Schweiz während der Zeit des Zweiten Weltkriegs mit einer Grossveranstaltung vor 1‘500 Zuhörern im „Swissôtel“, Zürich-Oerlikon. Thema seines Vortrags: „Die Schweiz im Zweiten Weltkrieg – eine Klarstellung“.

Fazit der Rede: Die damalige Schweiz verdient für ihre Gesamtleistung Hochachtung und Bewunderung. Die Schweiz habe sich in schwierigsten Zeiten, als es um die Existenz und die Unversehrtheit unseres Landes und seiner Bevölkerung ging, insgesamt richtig verhalten. „Geldzahlungen des Staates oder eine Entschuldigung für die damalige Politik, die nicht nur rechtmässig, sondern überlebenswichtig war – und unser Volk und rund 300‘000 Internierte und Flüchtlinge vor den Schrecken des Krieges, vor Hunger, Tod und Elend bewahrt hat – wären ein Verrat an unserem Volk!“

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Blocher betont einleitend, die grossspurig als historische Neuheiten angekündigten Sensationen zur Wirtschafts- und Aussenpolitik sowie zur Neutralitäts- und Flüchtlingspolitik seien allen informierten Zeitgenossen längst bekannt. Trotzdem verhalte sich die classe politique, angeführt vom Bundesrat, bei den schwerwiegenden Angriffen auf das Verhalten von Land und Volk in jener Zeit etwa so überlegt, wie „Hühner in einem Hühnerhof, wenn der Fuchs ums Gehege schleicht.“ Unsere Landesregierung und namhafte Wirtschaftsvertreter liessen jedes klare Konzept vermissen, sie reagierten widersprüchlich und unglücklich. Ein Grossteil der Medien habe die Stimmung der Verunsicherung mit Sensationsmeldungen und gezielten Indiskretionen zusätzlich geschürt und für eine selbstzerfleischende Untergangsstimmung gesorgt. „Unzählige Bürgerinnen und Bürger werden dabei in ihren Gefühlen zur unserer Heimat ständig erneut verletzt. Darum ist eine Klarstellung nötig.“

Die Schwerpunkte der Klarstellung

Die Schweizer sind keine Nazis gewesen. Unser Land ist auch 1933 bis 1945 ein demokratischer Rechtsstaat geblieben. Bundesrat Obrecht hat 1938 an die Adresse Hitlers unmissverständlich verkündet, die Schweiz werde nicht ins Ausland wallfahrten gehen. Insgesamt 800‘000 Männer und Frauen, rund 20 Prozent der Bevölkerung, haben 1939 bis 1945 der bewaffneten Neutralität Nachdruck verliehen. Die Schweiz hat unter gewaltigen Opfern und Anstrengungen einen Widerstandwillen gezeigt, der seinesgleichen sucht. Die Bedrohung war Realität. Die „Operation Schweiz“ hätte Hitler unverhältnismässig viele Kräfte gebunden und gekostet.

Ab Juni 1940, als die Schweiz von den Achsenmächten eingeschlossen war, waren Handelsbeziehungen für ihre Existenz überlebenswichtig. „Soll man sich etwa dafür entschuldigen, dass  man ein Volk vor Krieg und Hunger bewahrt hat?“ fragt Blocher unter Applaus des Publikums.

Dass die Schweiz das Neutralitätsrecht während des Krieges im Wesentlichen hochgehalten hat, zeigt u.a. die Aussage von Winston Churchill am 13. Dezember 1944: Von allen Neutralen hat die Schweiz das grösste Anrecht auf bevorzugte Behandlung (…) Sie war ein demokratischer Staat, der (…) seine Freiheit verteidigt und (…) gesinnungsmässig grösstenteils unsere Partei ergriffen hat. 

Blocher kritisiert scharf, heute werde keine Möglichkeit ausgelassen, die bewährte Staatsmaxime der immerwährenden, bewaffneten Neutralität mit Füssen zu treten. Adolf Muschg hat die Neutralität als ‚unanständigen Furz‘ bezeichnet. Der Herr Literaturprofessor hat eben seine eigene Sprache – sie passt zu ihm! Was wäre wohl mit der Schweiz, unserem Volk und den hier ansässigen Flüchtlingen ohne die Neutralität geschehen?!“ Entscheidend ist: Die Widerstandswilligen haben sich durchgesetzt. Selbstverständlich, so Blocher, habe es auch Schwache, Anpasser und Leisetreter in der Schweiz gegeben – „wie es sie auch heute gibt und immer geben wird.“ (In der Tat: Auch im Jahr 2020 wollen „elitäre“ Kreise auf anpasserische Weise zentrale Volksrechte an Brüssel abtreten.)  

„Einzelne Massnahmen – die 1942 zeitweise hermetisch abgeriegelte Grenze, die Ausweisung von Flüchtlingen – sind im Rückblick unverständlich“, stellt Blocher fest. Es sei schwer verständlich, weshalb sich damals fast alle Staaten den Juden gegenüber hartherzig und grausam gezeigt hätten. Auch die Schweiz sei in der Flüchtlingspolitik leider kein Sonderfall gewesen; dennoch habe sie rund 30‘000 jüdische Flüchtlinge aufgenommen, mehr als jedes vergleichbare andere Land – aber auch etwa 30‘000 zurückgewiesen. Die Empörung im Volk sei jedoch so mächtig gewesen, dass der Bundesrat die Grenzschliessung wieder habe lockern müssen. „Entscheidend ist jedoch die Gesamtleistung: Hier hat die Schweiz nicht versagt, sondern sie hat sich ausgezeichnet!“ bilanziert Blocher.

Die heutige Diskussion (1997) über die Schweiz und den Zweiten Weltkrieg werde weitgehend von schweizerischen und ausländischen jüdischen Organisation geführt. Die Argumentation habe auf beiden Seiten viel Heuchlerisches an sich. „Vor allem die jungen Vertreter der Linken, einige Theologen, zahlreiche Soziologen, Professoren, Kulturschaffende und Journalisten hacken als selbsternannte Moralisten auf den Entscheidungsträgern der damaligen Schweiz herum und halten ‚Gericht‘ aus sicherer Distanz. Dies nach dem Motto: Wir sind die Guten und distanzieren uns von den Bösen.“ „Nüchtern betrachtet“, so Blocher, „geht es letztlich um Geldforderungen.“ Nicht klar sei jedoch, wofür genau dieses Geld bezahlt werden solle. „Die offizielle Schweiz muss gegenüber den masslosen Anschuldigungen in- und ausländischer Kreise und gegenüber Geldforderungen – unter welchem Titel auch immer – entschieden auftreten!“

Seine Forderung lautet: „Wir müssen dem Druck das Recht entgegensetzen! Auf staatlicher Ebene haben sich die Alliierten – speziell die USA – und die Schweiz bereits 1946 und 1952 über das Raubgold und über deutsche Guthaben in der Schweiz geeinigt. Die rechtsgütigen Verträge sind das Ergebnis harter Verhandlungen.“  Sollte man nach sorgfältiger Untersuchung zum Schluss kommen, dass sich die Nationalbank oder andere Schweizer Banken oder Unternehmer unrechtmässig bereichert haben, so müsse das Geld an die rechtmässigen Eigentümer oder Erben ausgehändigt werden.

Blochers Fazit: „Die Schweiz muss sich weder entschuldigen noch muss sie für etwas zahlen.“ Vielmehr gelte es, aus der Geschichte zu lernen: Konsequente Gegenwehr dort, wo wir von unserem Recht überzeugt sind, bringt mehr als schrittweises Nachgeben. Wer sich einmal erpressen lässt, wird immer wieder erpresst. All jene Bankenvertreter, die von Schadensbegrenzung sprechen und jene Politiker, die nun in die USA pilgern, sollten nachlesen, was 1946 der Schweizer Delegierte Stucki in Washington gesagt hat – und dann so handeln: „Die Existenz eines Kleinstaates wie der Schweiz hängt ja fast ausschliesslich vom Recht ab. Und weniger als irgendein anderer Staat kann es sich die Schweiz leisten, um momentaner Vorteile willen geheiligte Grundsätze des Rechtes preiszugeben, um damit zwar vorübergehend wirtschaftliche Vorteile zu erringen, ihr Ansehen aber auf die Dauer preiszugeben.“ Blocher beendet seine Rede mit der Feststellung: „Das galt damals, das gilt heute, das gilt in Zukunft. Daran gibt es nichts zu rütteln!“

Die Rede von historischer Bedeutung schlägt wie eine Bombe ein. Wir versenden über 45‘000 Exemplare an Leute, die sie unbedingt haben wollen – in der Schweiz, in fast allen Ländern Europas, in den USA, in Kanada, im Mittleren und Fernen Osten. Blochers „Klarstellung“ hat zweifellos auch den Grundstein dafür gelegt, dass die vom Bundesrat forcierte „Schweizerische Stiftung für Solidarität“ – die zwangsläufig als Schuldanerkennung gedeutet worden wäre – verhindert werden konnte.

(Fortsetzung folgt)



Hans Fehr